HEUTE VOR 110 JAHREN, am 30. März 1911, fuhr LZ 8, die sogenannte „Ersatz-Deutschland“ oder auch „Deutschland II“, zum ersten Mal. Doch das „Leben“ dieses Luftschiffs war nur von kurzer Dauer, denn schon nach wenigen Fahrten kam es zu einem Unglück.
Endlich sahen die Weltfahrenden wieder menschliche Ansiedlungen und kultivierte Gärten. Der Unterschied zum unwirtlichen, trostlosen und fast menschenleeren Sibirien hätte kaum größer sein können! Begeistert beschreibt Kapitän Lehmann seine ersten Eindrücke von Japan: „LZ 127 Weltfahrt – Teil 7: Japan im Zeppelinfieber“ weiterlesen
Nachdem Max Geisenheyner das Luftschiff gelenkt hatte, war er völlig erschöpft. Doch ließ er sich von Knut Eckener noch den vor Erschütterungen sicheren Kreiselkompass zeigen, bevor er in seiner Kabine verschwand und vorsichtig die wackelige Aluminiumleiter hinaufstieg, um seinen Kabinengenossen Kauder nicht zu wecken.
In der Zwischenzeit hatte LZ 127 den Fluss Jenissej erreicht. Die Zeppeliner suchten den kleinen Ort Imbatsk, der ihnen als Wetterstation bekannt war. Sie waren unsicher, ob Imbatsk südlich oder nördlich von ihrer aktuellen Position aus lag. Hugo Eckener entschied, entlang des Flusses nach Norden zu fahren.
„Wir fuhren also über dem majestätischen Fluß nach Norden zu, und in der Tat sahen wir dann nach einer kleinen Viertelstunde die Station nahe vor uns liegen. Es war ein ärmliches kleines Dorf von vielleicht 25 – 30 Hütten. (…)
Wenn Imbatsk 25 Hütten hatte, als wir es erreichten, hatte es nur noch 23, als wir es verließen. Denn folgendes sahen wir beim Überfliegen sich unter uns abspielen:
Wir kamen offenbar ganz überraschend; wer sollte auch je daran gedacht haben, daß wir im unermeßlichen Sibirien gerade dieses kleine Nest in der ungeheuren grünen Wildnis ansteuern würden, um an einem klar bestimmbaren Punkt in das untere Tunguskatal zu kommen?
Wir fuhren ganz niedrig über dem Fluß dahin, bogen um eine Ecke und waren plötzlich über den Häusern. Einige Fenster und Türen öffneten sich, und einige Leute steckten neugierig die Köpfe heraus, um nach der Ursache des nie gehörten Donners in den Lüften zu sehen, zogen sich aber meistens schnell wieder zurück, offenbar durch den Anblick des riesigen Himmelswagens erschreckt. Ein schwerer, zweirädriger Karren zog in der engen Straße zwischen den niedrigen Hütten langsam seines Weges, und der Fuhrmann lag träge auf den Säcken und ‚döste‘ vor sich hin. Plötzlich schrak er auf, sah das Ungetüm nahe über sich und sprang ab, um in der nächsten Hütte zu verschwinden. Der Gaul vor dem Karren bekam es offenbar auch mit der Angst und sauste, scheu geworden, mit seinem Gefährt davon. Bei der nächsten Ecke bog er in einer so scharfen Kurve in eine Seitengasse ein, daß er aneckte und die dürftige Hütte zum Einsturz brachte und das nächste Häuschen auch gleich mitnahm. Was noch weiter geschah, konnten wir nicht mehr verfolgen.“
DIE ZEIT RAST…
Als Max Geisenheyner um halb sieben Uhr wieder aufstand, „war die Zeit um fünf Stunden vorgetrieben. Wir befanden uns auf dem 90. Grad östlicher Länge und dem 63. nördlicher Breite. Je fünfzehn Grad Länge trieben uns jetzt um eine weitere Stunde vor.“
Dazu notiert er in sein Tagebuch: „Kaum ein wenig gefrühstückt, ein wenig telegraphiert, und schon werden die Tische zum Lunch gedeckt.“
Einer der Passagiere soll sich sogar über die rasche Essensfolge beklagt haben….
Unterdessen hatte sich die sibirische Landschaft im Vergleich zum Vortag nur unwesentlich verändert: Immer noch Taiga, aber nun ragten einige Felsen daraus hervor. Der Polarforscher Wilkins erklärte den Reisenden, dass es sich hier um ehemaligen Meeresboden handle.
Trotz der eintönigen Landschaft war die Stimmung an Bord gut. Kapitän Lehmann erzählt:
„Unsere Pressefahrgäste arbeiten fieberhaft auf ihren Reisemaschinen, andere Fahrgäste vertreiben sich die Zeit mit Grammophon und Tanz. Auch ich greife in freier Stunde zu meinem ‚Schifferklavier‘, der großen Ziehharmonika, die mir unterwegs das Cello ersetzen muß, und spiele auf Wunsch aus den ‚Meistersingern‘ – die Welt ist voller Unwahrscheinlichkeiten, und Jules Verne gegen unsere Wirklichkeit nur ein armer Mann ohne Phantasie.“
Um die Mittagszeit näherte sich LZ 127 einer dramatisch aussehenden Wetterfront. Kapitän Sammt:
„Nun folgten wir dem Tal der unteren Tunguska weiter nach Osten. Quer über dieses Tal spannte sich eine kolossal große Wolkenbank, ein Böenkragen, und wir mußten darunter hindurch. Wir machten uns schon auf gewaltige Turbulenzen gefaßt, jedoch waren die Auswirkungen im Verhältnis zum Aussehen des Gewölks gering.“
Immer weiter auf östlichem Kurs überquerte LZ 127 den nördlichen Polarkreis. Am Nachmittag konnten die Presseleute vermelden, der Zeppelin habe nun seit Friedrichshafen schon 6000 Kilometer zurückgelegt. Manchen schlug die eintönige, zumeist triste Landschaft langsam aufs Gemüt, wie Albert Sammt beschreibt:
„Während der Fahrt nördlich des Polarkreises blieb es den ganzen Tag hell. Die Sonne schien um Mitternacht ganz flach über den Pol. Wir kamen bis zum 64. Grad nördlicher Breite. Die Borduhr wurde in diesem Fahrtabschnitte alle 7 Stunden um 1 Stunde vorgestellt.
So fuhren wir also immer weiter gen Osten. Unsere Passagiere waren wohlgelaunt, obwohl sie, wie auch uns, die unendliche Einsamkeit Sibiriens bedrückte. Die Ausblicke waren phantastisch, ja schon unwirklich. Einem Fahrgast soll allerdings der Appetit beim Gedanken vergangen sein, daß das Luftschiff in dieser Gegend hätte notlanden müssen. Das wäre natürlich auch der sichere Tod für alle gewesen – denn hier hätte uns niemand mehr retten können. Nicht einmal der Eisbrecher KRASSIN, der ein Jahr zuvor einen Teil der Besatzung des italienischen Luftschiffes ITALIA aus dem Treibeis des Polargebietes gerettet hatte, hätte hier etwas zu unserer Rettung beitragen können. Aber unser Luftschiff lag absolut ruhig in der Luft und die Motoren arbeiteten unermüdlich ohne jede Störung. Ja, wir konnten wegen der günstigen Winde sogar treibstoffsparend den größten Teil der Strecke mit nur vier Motoren fahren. Die Sumpfgebiete mit dem oft farbenprächtigen Anblick waren bis dahin vermutlich von keines Menschen Auge im Sommer geschaut worden, weil sie nur im Winter, wenn alles Wasser gefroren ist, von Pelztierjägern durchstreift werden. Schon gar nicht konnte diese Urwelt von einer so großartig geeigneten Plattform, wie es unser Luftschiff war, betrachtet, ja studiert werden. Ich glaube kaum, daß einer der Passagiere viel geschlafen hat, denn keiner wollte sich diese Sehenswürdigkeiten entgehen lassen.“
EISZEIT
Das Lichtspektakel war großartig, aber die Temperaturen sanken empfindlich. Laut Gerville-Réache gefrieren die Leute im Luftschiff regelrecht. Er selbst hatte über einen dicken Wollpullover noch einen schweren Ledermantel angezogen, der aber nicht in der Lage war, ihn zu wärmen.
Was der Himmel über dem nördlichen Polarkreis in dieser Nacht den Passagieren darbot, schildert Hugo Eckener:
„In den kurzen Nachtstunden kam ein Vollmond herauf oder versuchte sozusagen heraufzukommen, denn er blieb in geringer Höhe im Süden über der Horizontlinie und rollte hier langsam wie eine große gelbe Kugel seine kurze Bahn, während im Norden der hellglühende Himmel anzeigte, daß die Sonne nur ganz wenig unter dem Horizont hinabgegangen war. Ein amerikanischer Fahrgast war von diesen märchenhaften Beleuchtungseffekten so bezaubert, daß er um elf Uhr, als alles zu einer kurzen Ruhe ins Bett ging, sich zwei Flaschen Wein bringen ließ und die Nacht hindurch Mond und Abendhimmelschein beobachtete. Ich leistete ihm dabei einige Zeit Gesellschaft, denn der Wein, den wir an Bord führten, war nicht schlecht und das Himmelsbild sehr eigenartig.“
Trotz seiner dicken Winterkleidung hatte auch Max Geisenheyner in dieser Nacht gefroren. Er schreibt in seine Notizen:
„Die Nacht ist mörderisch kalt. Und erst der Morgen, der 18. August. Ich mache eine Verbeugung vor meinem Wintermantel und meinem dicken roten Sweater, ziehe beides an und komme in den Salon zu einer völlig verhüllten Gesellschaft. Lady Hay hat einen dicken Pelz an und eine gefütterte Autokappe auf.
Hubert Wilkins einen gelben Kamelhaarmantel, Filzpariser an den Füßen und bis zu den kurzen Hosen hinauf dicke wollene Strümpfe. Ringsum Wolljacken und Mützen. Jemand trägt zwei Mäntel, sogar der Tiroler hat seine kurzen Lederhosen ausgezogen und sieht wie ein normaler Mensch aus. Unser Franzose jedoch hat sich ins Bett verkrochen und sich mit allem zugedeckt, dessen er habhaft werden konnte. Hubert Wilkins erzählt, angeregt durch die Nähe seines Nordpols, daß er seinen Plan, mit einem Unterseeboot unter dem Eis des Pols hindurchzufahren, und dann am Pol selbst aufzutauchen, immer noch nicht aufgegeben habe.“
Sir Wilkins saß nur deshalb in „Filzparisern“ im Salon, weil er seine polartauglichen Stiefel an Lady Hay ausgeliehen hatte.
Der Zeppelin erreichte das Tal des Wiljui, eines Nebenflusses der gewaltigen Lena. An der Lena lag das nächste Ziel der Reisenden, das sie am vierten Reisetag gegen sieben Uhr morgens erreichten: Jakutsk. Albert Sammt berichtet:
„Jakutsk war eine mittelgroße Stadt, bestand aber nur aus weit auseinanderliegenden Holzhäusern. Wie in allen Ortschaften, die wir in Sibirien überfuhren, war in der Ortsmitte eine festgemauerte, weißgetünchte Kirche. (…)
In Jakutsk herrschte gerade der sibirische Sommer mit ca. 20°C; wir wußten aber, daß dies das Gebiet mit den tiefsten Wintertemperaturen der Erde ist. Der schreckliche sibirische Winter bringt diesen Menschen da unten Kältegrade von -60 bis -70°C. die ungeheuren Holzvorräte, die am Lenaufer angelandet wurden, waren ein deutliches Zeichen dafür, wie streng der Winter hier sein mußte. Wir hatten davon gehört, daß die verschiedensten russischen Regierungen kriminelle Strafgefangene, aber auch politisch Unliebsame in dieses Gebiet verbannen, aus dem es kein Entrinnen gab – wovon wir uns ja hatten hinlänglich überzeugen können.“
Doch die Zeppeliner wollten sich Jakutsk nicht nur von oben betrachten, sie wollten auch etwas Wichtiges erledigen. Nochmals Albert Sammt:
„Viele deutsche Kriegsgefangene des ersten Weltkriegs sind hier gestorben. Zum Gedenken an diese Volksgenossen wurde ein riesiger Kranz, den wir aus Friedrichshafen mitgebracht hatten, über dem kleinen Friedhof von Jakutsk an einem Fallschirm abgeworfen. Außerdem warfen wir einen Postsack ab, der sofort von roten Hemdkitteln aufgefangen wurde – ja, sie balgten sich um ihn. Hier hat die Neugierde wohl die Angst überwogen. Ob die Post je den Weg in die Heimat findet und wann? fragten wir uns… Sibirien ist weit.“
JAPAN IST NAH!
Die „Funkbude“ hatte schon seit geraumer Zeit keinen Kontakt mehr zur Außenwelt. Sämtliche Funkverbindungen waren abgebrochen, die Presseleute konnten keine Texte mehr absetzen, die Funker keine Wettermeldungen mehr empfangen. Nicht nur an Bord war man darüber etwas beunruhigt. Kapitän Lehmann:
„Man ist besorgt um uns, wir gelten als verschollen, und uns selber ist auch erst wieder wohl, als unser Funkleiter Dumke mit seinen Funkern Speck und Freund endlich von einer japanischen Station Wettermeldungen empfängt. Die Meldungen selbst sind uns – so merkwürdig das klingen mag – erfreulich, die sprechen vom Vorbeiziehen eines schweren Taifuns längs der japanischen Ostküste.“
Doch die japanische Küste war noch nicht zu sehen. Erst musste ein Teil des gigantischen Stanowoigebirges überquert werden. Das war problematischer als ursprünglich angenommen, denn die Landkarten waren ungenau. Die Höhenangaben der Gebirgszüge stimmten um viele hundert Meter nicht. Wie der Zeppelin diese letzte Hürde vor dem Ochotskischen Meer zu nehmen versuchte, berichtet Kapitän Sammt:
„Wir überquerten das weite Tal der Lena, überquerten den Aldan kurz nach der Einmündung seines Nebenflusses Maja, bogen dann in das Tal des Maja ein. Diesem fuhren wir bis zur Mündung des Nebenflüßchens Ui entlang. Dessen Tal wollten wir bis zur Paßhöhe folgen. Die uns zur Verfügung stehenden Karten gaben eine Kammhöhe von ungefähr 2000 m und eine Paßhöhe von rund 500 m an. Wir stiegen höher und höher, erreichten schließlich 1700 m, ohne den Paß gefunden zu haben. Noch höher zu steigen hätte bedeutet, daß Traggas durch die Überdruckventile entwichen wäre, wodurch dann später das Schiff bei der Landung in Seehöhe sehr schwer würde. Glücklicherweise fanden wir aber in 1800 m Höhe den ersehnten Paß in Form eines engen Taleinschnittes und überfuhren ihn mit weniger als 50 m Höhe über Grund.
Es war ein phantastischer Augenblick: es war geschafft, der asiatische Kontinent überquert.“
Das Dschugdschurgebirge fiel jäh in das Ochotskische Meer ab. Der Ozean schien ruhig und still. Entlang der steilen Küstenlinie lagen viele kleine Inseln, auf denen Nebel waberte. Albert Sammt zieht eine erste Bilanz:
“69 Stunden waren seit unseren Abschiedsrunden über Berlin vergangen, als die Küste bei Port Ajan erreicht wurde. Wir fuhren nun südlichen Kurs zwischen dem Festland und der Insel Sachalin. Dabei kamen wir in dichte Wolken, die uns die Sicht versperrten, was in Anbetracht der hohen Gebirge auf beiden Seiten der Route äußerst ungemütlich war.
Gerade, als wir die nördlichste Insel Japans, Hokaido, erreichten, klarte es auf, und unter uns lag die japanische Küste.“
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