Mit Wopsie und Klebepunkten – die Vermittlung von „Vernetzung der Welt“

Am Zuckerhut Rio de Janeiro

Am Sonntag, 3.11., endete im Zeppelin Museum die Ausstellung Vernetzung der Welt. Pionierfahrten und Luftverkehr über den Atlantik, die sich mit der ersten Atlantiküberquerung eines britischen Luftschiffs im Jahr 1919 befasste und in diesem Zusammenhang die generelle Entwicklung des Luftverkehrs beleuchtete.

Zur Ausstellung fand ein umfangreiches Begleitprogramm statt, aber auch in der Ausstellung selbst waren partizipative Formate zu finden. Der folgende Text stellt die im Rahmen der Ausstellung präsentierten Formate und die Reaktionen der Besucher*innen vor. Wir möchten die Vor- und Nachteile der jeweiligen Projekte identifizieren, um die Erfahrungen für zukünftige Ausstellungen zu nutzen.

Von Beginn an kam der Frage nach Möglichkeiten der direkten und aktiven Einbeziehung der Besuchenden ein hoher Stellenwert zu. Diese sollten unmittelbar auf die Ausstellung reagieren, ihre Meinung äußern und Eindrücke weitergeben können. Auch Kinder sollten in Form eines Mitmachangebots angesprochen werden.

Das sicherlich räumlich präsenteste Format war die interaktive Weltkarte im hinteren Bereich des Ausstellungsraums. Das Thema Flugverkehr war nicht nur hoch aktuell, es besaß auch eine hohe Anschlussfähigkeit. Diese Haltungen der Besucher*innen sollten in der Ausstellung sichtbar werden. Die Abteilung Diskurs & Öffentlichkeit entwickelte hierzu gemeinsam mit den Kurator*innen Fragen, über die man in der Ausstellung abstimmen konnten. „Werden Sie aufgrund des Klimawandels in Zukunft weniger fliegen?“ konnte einfach mit Ja/Nein beantwortet werden und war dabei die offensichtlichste Frage. Wir wollten jedoch erreichen, dass Luftverkehr in einem neuen, ökologischen Kontext reflektiert wird. Heutzutage ist Fliegen für viele von uns etwas Selbstverständliches, doch 1919, als das erste Luftschiff den Atlantik überquerte, war Fliegen etwas Außergewöhnliches, eine Erfahrung, die viele Menschen in ihrem Leben niemals machen würden. Mit der Frage „Wenn Sie nur noch an einen einzigen Ort auf der Welt fliegen könnten, wohin würden Sie fliegen?“ wollten wir auf diesen Umstand aufmerksam machen und die Besucher*innen anregen, diese Thematik auf die eigene Lebensweise anzuwenden.

Die Weltkarte vor der Schließzeit
Die Weltkarte nach der Schließzeit
Die Weltkarte nach der Schließzeit

Während der Corona-Pandemie wurde der Flugverkehr beinahe vollständig eingestellt. Selbstverständlich haben wir uns in diesem Zusammenhang im Museum gefragt, ob sich der Blick auf das Fliegen dadurch verändert hat. Um diesen möglichen Perspektivwechsel abbilden zu können, entschieden wir uns, eine neue Farbe für die Antworten einzuführen, um ein Vorher/Nachher-Bild zu erzeugen. In der ersten Auswertung zeichnete sich keine Veränderung der Perspektive ab.

Diagramm zum Einbruch des Flugverkehrs

Neben der Möglichkeit, über Klebepunkte auf einer Weltkarte abzustimmen, wurde ein virtuelles Gästebuch eingerichtet, um eine digitale Diskussion anzustoßen. Während vor und nach dem Shutdown die Möglichkeit, sich über Klebepunkte zu äußern, intensiv genutzt wurde, blieb das digitale Gästebuch beinahe leer. Ein erster Erklärungsansatz für diese unterschiedlichen Resultate könnte die Attraktivität der persönlichen Interaktion in der Ausstellung sein: Besucher*innen möchten sich mit einem sichtbaren Zeichen beteiligen, eine Spur hinterlassen. Dies schien für viele attraktiver zu sein als ein in ein digitales Gästebuch zu schreiben, wo das Gesagte erst einmal im „Nichts“ zu verschwinden scheint.

Virtuelles Gästebuch
Das virtuelle Gästebuch nach Ender der Ausstellung

Insgesamt kann das Format der interaktiven Weltkarte als Erfolg bezeichnet werden. Viele Besucher*innen haben an der Aktion teilgenommen, sodass die Karte letztlich ein differenziertes Spektrum an Antworten abbildet.

Als Fazit für kommende Ausstellungen lässt sich festhalten, dass die partizipative Auseinandersetzung mit der Thematik der Ausstellung auf diese Weise – offene Fragen, analoge sichtbare Abstimmungsmöglichkeit im Raum – sehr gut funktioniert. Die Besucher*innen reflektieren die Inhalte mit Bezug auf ihre eigene Lebenswelt und können so einen erweiterten, individuellen Zugang zur Ausstellung finden.

Ein weiteres partizipatives Format war die Wopsie-Schnitzeljagd. Wopsie ist eine Katze, die sich bei der Atlantiküberquerung als blinder Passagier an Bord des Luftschiffs R 34 geschlichen hatte. Sie war bei der Besatzung sehr beliebt und auch die Medien interessierten sich sehr für sie. In Anlehnung an diese Geschichte wurde eine Schnitzeljagd durch das Museum konzipiert, bei der die jüngeren Besucher*innen anhand einer Schatzkarte acht Wopsie-Plüschkatzen finden mussten. Jede Wopsie trug einen Buchstaben am Halsband, die zusammen das Lösungswort „Atlantik“ ergaben. Die Idee dieses Formats war, einen spielerischen Zugang zur Ausstellung zu bieten.

Eine der acht versteckten Wopsies
Eine der acht versteckten Wopsies

Auch dieses Format stellte sich als voller Erfolg heraus. Die große Nachfrage an Katzen übertraf unsere anfänglichen Erwartungen um ein Vielfaches; der Unterhaltungsfaktor des Suchspiels wurde überdeutlich. Nachdem wir einen sehr sympathischen Brief von einem Jungen erhalten hatten, der gerne eine der Katze aus dem Suchspiel „adoptieren“ wollte, entschieden wir, die Wopsie-Aktion auch nach Ende der Ausstellung weiterzuführen. So wurde ein Aufruf auf den sozialen Medien verbreitet, selbst Wopsies zu gestalten, um eine der „originalen“ zu gewinnen. Dadurch konnten die für die Ausstellung gekauften Katzen nachhaltig weiterverwendet werden und es fand eine neue Art der Aneignung statt: Ausstellungsstücke werden Teil der Lebenswelt der Besucher*innen.

Der Erfolg dieser Schnitzeljagd zeigt, dass eine solche Aktion auf weitere Ausstellungen übertragen werden kann. Doch sollte das Spiel in Zukunft stärker an einzelne Exponate geknüpft werden, so dass auch die jüngeren Zielgruppen die Themen der Ausstellung umfassender reflektieren.

Großer Beliebtheit erfreute sich zudem die von der Kommunikationsabteilung ins Leben gerufene Postkartenaktion. In Kooperation mit Südmail konnten Besucher*innen in der Ausstellung Postkarten schreiben und kostenlos in die ganze Welt versenden. So wurde die „Vernetzung der Welt“ auf einer sehr persönlichen Ebene unmittelbar erlebbar. Es fand eine Kommunikation außerhalb des Museums statt, für die das Museum als Ausgangspunkt diente, aber keinen Einfluss auf diese Kommunikation nahm. Die Postkarten der Besucher*innen trugen die Ausstellung individuell und personalisiert nach außen.

Die Auswertung dieser Aktion hat gezeigt, dass mit 31.529 versendeten Postkarten (25.553 national, 5.976 international) eine große Anzahl Besucher*innen das Angebot genutzt hat. So kann resümiert werden, dass Besucher*innen generell Spaß daran haben, sich innerhalb einer Ausstellung auszutauschen, genauso aber über die Ausstellung mit Menschen außerhalb des musealen Raums zu interagieren.

Alle drei partizipativen Formate in der Ausstellung können als große Erfolge gewertet werden. Die Besucher*innen erhielten die Möglichkeit, sich aktiv zu beteiligen, miteinander zu kommunizieren, aber auch mit Menschen außerhalb des Museums in Kontakt zu treten. Dies zeigt, dass partizipative Elemente Ausstellungsformate enorm bereichern und dabei sowohl Hemmschwellen abbauen und Bindungen erzeugen können. Da im Zeppelin Museum die Abteilung Diskurs & Öffentlichkeit bei der Planung der Ausstellungsprojekte von Anfang an involviert ist, können solche pädagogischen Formate in Konzeption und Ausstellungsarchitektur sinnvoll und erfolgreich eingebunden werden.

 

Autorinnen:
Charlotte Ickler und Antje Mayer sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnen der Abteilung Diskurs & Öffentlichkeit. Sie konzipieren Material zu Ausstellungen, konzipieren Führungen und führen Vermittlungsangebote durch.

Jüdisches Leben in Friedrichshafen: Kein Unrecht – oder nur keine Überlieferung?

Das Zeppelin Museum hat Jürgen Oellers, Leiter des Stadtarchivs Friedrichshafen, gebeten, über jüdisches Leben in Friedrichshafen zu berichten. Er ist dafür tief in die Geschichte eingestiegen, hat nach den ersten Wurzeln des Judentums am Bodensee gesucht und ist dabei auf interessante Quellen gestoßen. Darüber hinaus beleuchtet er den Antisemitismus der Region und die tragischen Schicksale jüdischer Mitbürger*innen während des Nationalsozialismus. Der Untertitel „Kein Unrecht – oder nur keine Überlieferung?“ deutet dabei bereits an, dass Jürgen Oellers ein zu Unrecht wenig präsentes Thema herausgearbeitet hat.

Juden in Buchhorn und Friedrichshafen – von der Antike bis zur Frühen Neuzeit

Eine jüdische Besiedlung am Bodensee gab es schon vor dem Einfall germanischer Völker. Wahrscheinlich bereits unter den Römern siedelten sich Jüdinnen und Juden am See an; leider schweigen sich die Quellen darüber aus. Im Mittelalter verliehen aufstrebende territoriale Mächte, allen voran die Reichs- und Rheinstädte, den bis dahin kaum in Erscheinung tretenden Jüdinnen und Juden erste Privilegien wie Bürgerrechte. Nach heutigem Wissen verlief die Entstehung jüdischer Gemeinden zunächst den Rhein entlang und dann von Norden nach Süden. Erste Erwähnungen jüdischer Bewohner*innen und Gemeinden für das heutige Südwestdeutschland betrafen Ulm (1241), Konstanz (1242), Rottweil (1315) und Ravensburg (1330). Bis 1349 sprechen Quellen daher von der „Medinat Bodase“, d.h. von Gemeinwesen oder Großgemeinden vor ihrer Zerstörung. Danach, so Karl-Heinz Burmeister (Bd. 1, S. 17-23), wird ab ca. 1375 die von den Städten aufs Land geflüchteten Jüdinnen und Juden nur noch die „Judescheit an dem Bodmensee“ genannt.

Ein möglicher frühester Nachweis der Medinat Bodase für Buchhorn nennt vielleicht das St. Galler Manuskript „Acta Sancti Petri in Augia“ von 1220/1224 aus der Vadianischen Sammlung: Dort ist ein Händler („mercatore de Bǒchorn“, vgl. Acta Sancti Petri, fol. VII) erwähnt, der durchaus ein jüdischer Kaufmann gewesen sein könnte. Einen definitiven Beleg weist das Nekrologium des Nürnberger Memorbuchs, Ende 13. bis Ende 14. Jh., auf. Dort heißt es sinngemäß: „Dieses sind die Verfolgungen, welche unserer Sünden wegen im Jahr 5109 [1348/49] ausgebrochen sind. Bodensee-Bezirk […] Buchhorn II. idus ian. [12. Januar 1349]“ (zit. nach Salfeld, S. 250). In Ravensburg wurde 1430, vor Ausbruch der großen Pest, eine Ritualmord-Anklage gegen die dortigen Jüdinnen und Juden erhoben. Ein 13jähriger Junge wurde im Haslachwald erhängt aufgefunden. Der Fuhrmann, der den Jungen in den Wald gefahren hatte, bezichtigte Jüdinnen und Juden des Ritualmords, woraufhin diese gefangengenommen und ein Teil von ihnen im August 1430 verbrannt wurde. Andere wurden aus der Stadt vertrieben oder konnten fliehen. Der Vorwurf des Ritualmords führte zu Vertreibungen auch der Jüdinnen und Juden in Buchhorn. Analog zur Stadt Ravensburg beschloss wohl auch die Reichsstadt Buchhorn im Jahr 1431, nie wieder Jüdinnen und Juden aufzunehmen. Damit endete die „Judescheit an dem Bodmensee“ für Buchhorn. Eine Beschreibung der falschen Ritualmordbeschuldigung und deren Folgen für die jüdische Bevölkerung stammt aus dem „Emek habacha“ (Tal der Tränen) von Joseph ha-Kohen (1496-1577), der nach 1553 die Pogrome beschrieb:

In jenen Tagen [nach 1428] brachte man gegen die Juden, welche in Deutschland und zwar in der wasserreichen Gegend am Bodensee, in Zürich, Schaffhausen und der Umgegend wohnten, falsche Beschuldigungen vor, um sie zu verderben und zu vernichten und ihren ganzen Besitz zu rauben. Man ließ sie in‘s Gefängnis werfen, verurteilte sie in gewohnter Weise, obwohl sie kein Unrecht begangen hatten, und ermordete mehr als hundert Männer sammt ihren Frauen und Kindern in jener schrecklichen Zeit, und es wurde an ihnen der Heilige Israels verherrlicht. […] Im Jahre 5190, d.i. im Jahre 1430, beschuldigte man die Juden in Deutschland in den Städten Ravensburg, Ueberlingen und Lindau fälschlich, warf sie in’s Gefängnis und marterte sie und schrieb dann in das Geständnisprotokoll, was jene nicht bekannt und auch niemals zu tun beabsichtigt hatten, worauf man sie verurteilte und verbrannte, und es stieg ihre reine Seele zu Gott empor. Blicke hernieder, o Gott, und schaue es und hilf uns um Deines Namens willen. Man plünderte alsdann das bedeutende Vermögen jener, und dies war es eigentlich, was die Veranlassung zu jener schändlichen Tat und zu der Beschuldigung gegen sie gegeben hatte.“ (Zit. nach Burmeister, S. 180-182.)

Weniger die (Nicht-) Anwesenheit von Jüdinnen und Juden war im frühneuzeitlichen Buchhorn wie anderswo Grund eines bleibenden Antijudaismus, sondern vielmehr eine aus Vorurteilen und religiös motivierten Abwehrbemühen resultierende Judenfeindschaft führender Humanisten und Denker wie Martin Luther. In Buchhorn war es der Konstanzer Rechtsgelehrte Ulrich Zasius (1461-1535), der von Ende 1485 bis Ende 1489, also vier Jahre lang, die reichsstädtische Kanzlei als Stadtschreiber leitete. Zasius war nicht nur ein leidenschaftlicher Rechtspositivist, sondern auch ein erbitterter Gegner der Jüdinnen und Juden, der ihnen die rechtliche Gleichheit aberkannte: „Denn die öffentlich-rechtlichen Grundsätze finden auf die Juden keine Anwendung, weil sie Sklaven sind, und was immer ihnen verstattet wird, ist ihnen aus reiner Humanität verstattet.“ (Zit. nach Marcus Wagner, S. 5.) Dieser Antijudaismus ohne Juden – bzw. im deutschen Südwesten: mit dem pauperisierten Landjudentum und einigen wenigen reichen „Hofjuden“ – setzt sich bis ins 19. Jahrhundert fort, wo er mit dem rassistisch begründeten Antisemitismus deutlich aggressivere Ausmaße annahm, um alles irgendwie „Jüdische“ auszugrenzen und ausrotten zu wollen.

Antisemitismus (fast) ohne Jüdinnen und Juden

Eine überaus starke Tendenz zur Ausgrenzung und zur vermeintlichen Entlarvung alles Jüdischen als „Sündenpfuhl“ der Moderne lieferte der Wiener Publizist Joseph Eberle (1884-1947), geboren und aufgewachsen in der Reinachmühle bei Ailingen. Seine publizistische Tätigkeit fußte auf einen nostalgisch verklärten katholischen Ständestaat, der jegliche liberalen und sozialdemokratischen Tendenzen ablehnte und in fast all seinen Buch-Publikationen jedweden fortschrittlichen gesellschaftlichen Bereich als Betätigungsfeld „der Juden“ durchschauen wollte. Dabei bediente er sich überzogener „statistischer“ Behauptungen und berief sich – stillschweigend – auf die anonyme Hetzschrift  „Protokolle der Weisen von Zion“ (1903): „Aber geschichtlich und konkret gesehen zeigt sich bei den Juden unter den ‚Wirts’völkern alles in allem eine Vorliebe für alles Linksstehende, Oppositionelle; zeigt sich ein Bekämpfen und Zersetzen der bestehenden Staats- und Kulturordnungen; teilweise in Gegenwirkung gegen Erscheinungen öffentlichen ‚Antisemitismus‘, teilweise um dem eigenen Wesen und seinen Ausdehnungsbestrebungen Luft zu schaffen.“ (Zitiert nach Eberle, S. 220.) Eberle bezog seinen Antisemitismus eher aus Gehörtem und Gelesenem als aus eigener Anschauung, einer Mischung aus gesellschaftlicher Nischenstellung (seine Berufung zum Pfarrer musste er aus gesundheitlichen Gründen zu Gunsten der Schriftstellerei aufgeben) und einem gewissen Spürsinn für Sündenböcke – nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg. So nennt er, wenig überraschend, als geistige Väter seiner antisemitischen Überzeugungen: Adolf Bartels, Houston Stewart Chamberlain, Theodor Fritsch, Otto Glagau, Eduard von Hartmann, Werner Sombart, Heinrich von Srbik, Heinrich von Treitschke und Karl von Vogelsang.

Friedrichshafen und die Schoah im 20. Jahrhundert

War Joseph Eberle ein geistiger Vorbereiter antisemitischer Anfeindungen gegenüber allem Jüdischen, so setzten die Nationalsozialisten ihre Politik des Antisemitismus auch in Friedrichshafen brutal durch. Verließen bekannte hochrangige Zeppelin-Ingenieure jüdischen Glaubens wie Karl Arnstein (1887-1974) und Paul Jaray (1889-1974) – rückblickend gesehen noch rechtzeitig – in den Zwanzigerjahren Friedrichshafen und gingen ins Ausland, so erging es dem nach Friedrichshafen zugezogenen Vertreter Alfred Kaufmann im März 1936 schlecht: Unter der Anklage der „Rassenschande“ nahm man ihn in Untersuchungshaft (vgl. Seeblatt v. 31.03.1936). Falls es sich um den gleichaltrigen Alfred Kaufmann, geboren am 18. Juni 1906 in Recklinghausen, handelt, dann kam dieser über das Deportations-Lager Drancy bei Paris am 26. August 1942 nach Auschwitz, wo er schließlich umgebracht wurde.

Mit der Kommunalreform 1937 vergrößerte sich Friedrichshafen nach Fläche und Einwohner, indem die bislang eigenständige Gemeinde Schnetzenhausen eingemeindet wurde. Damit kam eine Neubürgerin jüdischer Herkunft hinzu: Elsa Hammer, aus Göppingen stammende geborene Fellheimer, wohnte im Teilort Fischbach. Durch den Tod ihres Mannes Karl, der bei Dornier Metallwerke als Betriebsleiter angestellt war, verlor Elsa Hammer im Frühsommer 1943 die „schützende Hand“ und wurde durch den ortsansässigen SS-Mann Hubert Jeuck denunziert sowie von ihm und der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) verfolgt. Elsa Hammer wurde ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert und am 24. September 1943 durch Giftgas ermordet (vgl. Oellers, S. 123 f). Nach der Reichspogromnacht wurde für ein NSDAP-Ortsgruppentreffen in Friedrichshafen (Nord) am 29. November 1938 der Ravensburger Schulrat Gruler für den Vortrag „Der nationalsozialistische Kampf gegen den Bolschewismus“ eingeladen. In seinem Referat behauptete Gruler, dass das Judentum den Kommunismus nach Europa getragen habe, um Deutschland planmäßig einzukreisen und das gesamte deutsche Volk anzugreifen. Gruler erhielt für seine hanebüchenen, damals aber weit verbreiteten Ausführungen großen Applaus von den Zuhörer*innen und von Ortsgruppenleiter Rudolf Göttinger (vgl. Seeblatt v. 01.11.1938).

Für die Undurchlässigkeit und Unbarmherzigkeit der deutschen Zwangsarbeiterlager bürgt der Fall Levie Barbier in Friedrichshafen. Der aus Den Haag stammende Niederländer hatte eine jüdische Mutter; dieser Umstand war den Behörden jedoch nicht bekannt. So wie viele andere Landsleute wurde Levie Barbier am 4. Juni 1942 zur Arbeit in der deutschen Rüstungsindustrie, zur Zahnradfabrik nach Friedrichshafen, zwangsverpflichtet. Der aufsässige wie mutige 20jährige schrieb im Februar 1943 an einer ZF-Werkshalle die Graffiti „Weg met Hitler“, „Lang leve Holland“, „Oranje Boven“ und weitere Anti-Nazi-Sprüche („Deutschland soll nicht unser Vaterland werden“), und versah diese mit einer Hitler-Karikatur sowie einem Galgen mit aufgeknüpftem Hakenkreuz. Von ZF-Aufsehern entdeckt, wurde er sofort nach Berlin überstellt und dort vom Volksgerichtshof wegen „Hochverrats gegen die nationalsozialistische Regierung“ zum Tode verurteilt. Levie Barbier wurde vom 7. auf den 8. September 1943, in einer der „Blutnächte“ von Plötzensee, mit weiteren 185 Strafgefangenen durch den Strang hingerichtet (vgl. Glaudemans).

Gab und gibt es nach 1945 in Friedrichshafen Antisemitismus?

Nach 1945, so sollte man meinen, hätte sich der Antisemitismus von selbst erledigt – weder entstand bis heute eine jüdische Gemeinde, noch gab es nach der Schoah jüdische Mitbürger*innen. Doch die Nachkriegs-Wirklichkeit blieb beschämend: Die Pflegetochter von Elsa Hammer wanderte 1951 mit ihrer Familie nach Südafrika aus, da sich der Antisemitismus in Friedrichshafen weiter bemerkbar machte – eben gänzlich ohne jüdische Bevölkerung. Die Anfeindungen gingen so weit, dass sogar der für die Stadtverwaltung tätige Justiziar Ernst Mühlhäuser (1911-1980), einer jüdischen Herkunft bis dato unverdächtig, aufgrund seiner beratenden Tätigkeit für die Überführung der Zeppelin-Stiftung und wegen eines vermeintlich jüdischen Nachnamens von einem gewissen „Jeremias Würmchen“ als „jüdisch infizierter Lümmel“ bezeichnet wurde (vgl. Schmidtchen, S. 138). Selbst im 21. Jahrhundert ist es der Fall, dass Antisemiten keine „physisch realen Juden“ benötigen, um ungeheure Ausfälle, Gehässigkeiten und Verbrechen zu begehen, weil sie grundsätzlich nicht bereit sind, aus der Geschichte zu lernen.

Quellen:

  • Acta Sancti Petri in Augia: Kantonsbibliothek St. Gallen, Sign.: Vad Slg Ms 321
  • Burmeister, Karl-Heinz: Medinat Bodase: Zur Geschichte der Juden am Bodensee 1200-1448, Bd. 1-3, Konstanz 1994 ff
  • Eberle, Joseph: Zertrümmert die Götzen! Zwölf Aufsätze über Liberalismus und Sozialdemokratie, Wien u.a. 1918
  • Glaudemans, Corien: Een gewone jongen uit de Haagse schilderswijk, in: Den Haag Centraal v. 4. Mai 2012, vgl. https://www.joodserfgoeddenhaag.nl/?s=levie+barbier
  • Oellers, Jürgen: Verfolgung: Das Schicksal von Elsa Hammer, in: 52 Stadtgeschichten aus der Serie der Schwäbischen Zeitung zum Friedrichshafener Stadtjubiläum 2011, Friedrichshafen 2012
  • Salfeld, Siegmund (Hg.): Das Martyrologium des Nürnberger Memorbuches, Berlin 1898. (Quellen zur Geschichte der Juden in Deutschland; Bd. III.)
  • Schmidtchen, Robert: Ernst Mühlhäuser – Eine biographische Notiz, in: Friedrichshafener Jahrbuch für Geschichte und Kultur, Bd. 5, 2013, S. 130-153
  • Seeblatt, Ausgabe Friedrichshafen, 1936 und 1938
  • Wagner, Marcus: Ulrich Zasius – eine kritische Betrachtung, in: Freilaw – Freiburg Law Students Journal, Ausg. V (Juli 2007), S. 1-5

Emmy La Quiante „Die Erste“ geprüfte Ballonführerin der Welt

Die dritte im Bunde unserer Ballonfahrerinnen hat es mir nicht leicht gemacht! Als „Erste“ wollte ich sie unbedingt mit vorstellen.

Denn die „Erste“ war ein Attribut, mit dem Zeitschriften Anfang des 20. Jahrhunderts öfters Frauen vorstellten, welche in ihren Bereichen Pionierinnen, ja eben, „die Erste“, waren. Das konnte eine Professorin, eine Ärztin, eine Richterin oder auch eine Maurerin sein. Und Emmy La Quiante war anscheinend sogar die erste geprüfte Ballonführerin der Welt! „Emmy La Quiante „Die Erste“ geprüfte Ballonführerin der Welt“ weiterlesen

Schattenblüte. Die Fotokünstlerin Irm Schoffers

Die neue Aufmerksamkeit, die der Fotokünstlerin Marta Hoepffner unter anderem durch die aktuelle Ausstellung „Wege in die Abstraktion. Marta Hoeffner und Willi Baumeister“ (29.11.2019 – 1.11.2020) im Zeppelin Museum zuteil wird, kann den Blick auf Irm Schoffers verdecken. Irm Schoffers war Marta Hoepffners Lebenspartnerin und zum Teil auch ihre Muse, aber sie war vor allem eine Künstlerin die über zweieinhalb Jahrzehnte hinweg ein eigenständiges Oeuvre geschaffen hat. „Schattenblüte. Die Fotokünstlerin Irm Schoffers“ weiterlesen

Vor 110 Jahren: Die legendäre Birnbaumfahrt des LZ 5

LZ 5, auch als Z II bezeichnet, war im Wesentlichen baugleich wie LZ 4 und sollte den ausstehenden Beweis einer mindestens 24-stündigen Dauerfahrt antreten.
Bereits drei Tage nach der ersten Probefahrt, am 29. Mai – einem Pfingstsamstag – startete das neue Luftschiff zu der Dauerfahrt, die Bedingung für den Ankauf von zwei Luftschiffen durch das Heer war.

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Eine „Vergnügungsreise in Licht und Sonne“ – Die Orientfahrt (25. bis 28. März 1929) der Graf Zeppelin

Ein kalter Nordostwind pfiff am Abend des 24. März 1929 um die Luftschiffhalle in Friedrichshafen. Frierend in ihre Pelzmäntel gehüllt standen die Passagiere in der kalten Zugluft und warteten auf die Aufforderung zum Einsteigen. Unter ihnen sah man Hella Brandenstein-Zeppelin, die Tochter des Grafen Zeppelin, verschiedene einflussreiche Regierungsbeamte aus Berlin wie den Reichstagspräsidenten Paul Löbe, den Verkehrsminister Theodor von Guérard und den Staatssekretär der Deutschen Reichspost Karl Sauter, sodann den württembergischen Staatspräsidenten Eugen Bolz und schließlich einige Journalisten größerer Blätter. Zu letzteren gehörten Lady Grace Drummond-Hay und Karl von Wiegand, die für den amerikanischen Zeitungsriesen Hearst arbeiteten und schon die erste Nordamerikafahrt des Graf Zeppelin im Herbst 1928 mitgemacht hatten.

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