„Neue Ästhetiken mit geringstmöglicher Klimawirkung“: Nachhaltige Ausstellungsarchitektur

In unserer fünfteiligen Beitragsserie „Neue Ästhetiken mit geringstmöglicher Klimawirkung“ geben wir Einblicke in die Nachhaltigkeitsstrategie des Ausstellungsprojekts Into the deep. Minen der Zukunft. Die im Fonds Zero der Kulturstiftung des Bundes geförderte Ausstellung hat den Anspruch in allen Bereichen klimaneutral zu sein. Im ersten Teil der Serie berichtet Frauke Stengel, Nachhaltigkeitsbeauftragte des Zeppelin Museums, welche Maßnahmen im Bereich Ausstellungsarchitektur ergriffen wurden, um dieses Ziel in die Tat umzusetzen.

Aus den Ergebnissen der Klimabilanzen 2019, 2021 und 2022 leitete das Team des Zeppelin Museums vier Handlungsfelder für die Nachhaltigkeitsstrategie des Hauses ab.

Die Zusage für den Fonds Zero erreichte uns am 27. September 2022. Mit der Bewerbung um den bis dahin einzigartigen Fördertopf der Kulturstiftung des Bundes forderten wir uns als Team und Institution zum wiederholten Male selbst heraus. Mit dem Fonds Zero ermöglicht die Kulturstiftung ein Experiment, das wir im Zuge unserer Nachhaltigkeitsstrategie schon vor der Zusage angestrebt hatten: Eine Ausstellung mit geringstmöglicher Klimawirkung zu realisieren, ohne auf ansprechende Ästhetik zu verzichten. Und das nicht nur als einmaliges Leuchtturmprojekt, sondern als Blaupause für alle zukünftigen Ausstellungen des Museums. Denn das Zeppelin Museum strebt an bis 2040 klimaneutral zu werden. Der Bereich „Ausstellungen“ spielt bei diesem Vorhaben eine große Rolle, vereint er doch alle vier Handlungsfelder der Nachhaltigkeitsstrategie des Zeppelin Museums: Energie, Mobilität, Kommunikation und Ausstellungswesen.

Für die Ausstellungsplanung bedeutete die Förderzusage, dass sämtliche Ausschreibungen und Anfragen an Dienstleister*innen und Partner*innen auf die Vorgaben der Kulturstiftung angepasst werden mussten. Nachhaltigkeitsfragen mussten gleichwertig zu inhaltlichen und ästhetischen Ansprüchen berücksichtigt werden. Alle Emissionen, die durch das Projekt anfallen würden, mussten minutiös erfasst und für die Bilanzierung, die eine der Fördergrundlagen darstellt, festgehalten werden. Dies galt nicht nur für das interne Museumsteam, sondern auch für alle externen Partner*innen, die wir nach und nach für das Projekt gewinnen konnten.

Eine Ausstellung mit dem Filter der Nachhaltigkeit zu planen, bedeutete alle Prozesse zu hinterfragen und stellenweise neu zu denken. Wir haben uns dabei an den drei „R“ orientiert: Reduce, Reuse, Recycle. Auf welche Elemente können wir verzichten? Was haben wir bereits im Haus, das wir wiederverwenden können? Was können wir ausleihen? Wie müssen wir mit Materialien umgehen, damit sie in den Kreislauf zurückkehren können?

Selbstverständlich wird vor jeder Wechselausstellung der Bestand im Haus geprüft und evaluiert, was wiederverwendet werden kann, was ersetzt oder repariert werden muss oder für welche Bereiche Neuanfertigungen oder -anschaffungen notwendig sind. Dies betrifft vor allem die Standardelemente wie Vitrinen und Sitzmöbel.

Ein Lesebereich der Ausstellung Beziehungsstatus: Offen. Kunst und Literatur am Bodensee (17.12.2021–06.11.2022).
© Knoblauch 2022

Im Zuge unserer Wechselausstellung Beziehungsstatus: Offen. Kunst und Literatur am Bodensee, die wir vom 17. Dezember 2021 bis 06. November 2022 zeigten, arbeiteten wir mit den Architekt*innen der Firma Knoblauch aus Markdorf zusammen und erprobten bereits viele der Prinzipien, die wir für Into the deep weiterverfolgten. In Beziehungsstatus: Offen stammten alle Möbel von Partner*innen Knoblauchs, die unsere Ausstellungsräume als Showroom nutzten. Die Möbel gingen nach Ausstellungsende zum Weiterverkauf an Knoblauch zurück, wobei das Zeppelin Museum ein Erstkaufsrecht erhielt und daher einige Möbel behalten konnte. Es stand also außer Frage, Knoblauch erneut um einen Pitch für dieses besondere Ausstellungsprojekt zu bitten. Es waren letztlich das Gesamtkonzept sowie die geografische Nähe zum Museum, durch die sich die Architekt*innen aus Markdorf erneut den Zuschlag sichern konnten. Während die Ausstellungsbereiche im Obergeschoss weitläufig und offen gestaltet wurden, bestach das Konzept im Untergeschoss durch einen dunklen und verwinkelten Minenschacht. Bevor die Architekt*innen den Raum planen und die Möglichkeiten und Beschränkungen einer klimafreundlichen Ausstellungsplanung gemeinsam mit uns kennenlernen konnten, tauchten wir in das Depot des Museums ein, um den Bestand auf Herz und Nieren zu prüfen: Im Fundus des Zeppelin Museums befinden sich momentan ca. 15 Vitrinen, fast 100 Hauben und etwa 50 Sockel. Für Into the deep wurden nur Sockel, Hauben und Vitrinen aus den Depots des Museums verwendet.

Da die Planung des Ausstellungsprojekts vor allem während der Laufzeit der vorherigen Ausstellung Fetisch Zukunft. Utopien der dritten Dimension (16.12.2022 – 16.04.2023) stattfand, nahmen wir die Architektur dieser Ausstellung besonders genau unter die Lupe. Welche Elemente dieses Projekts, das sich inhaltlich ebenfalls mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigte, würden sich nahtlos in Into the deep einfügen?

Museumsfans, die uns regelmäßig besuchen und auch Fetisch Zukunft gesehen haben, werden in Into the deep einige alte Bekannte wiedertreffen. Die anthrazitfarbenen Vorhänge, die auf der Ausstellungsfläche im Obergeschoss als Raumtrenner zum Einsatz kamen, wurden neu zugeschnitten und kreieren zwischen den Werken von Kristina Õllek und Armin Linke einen Sichtschutz und grenzen auch das Werk von Bethany Rigby im Obergeschoss räumlich ab. Als stabilere Raumtrenner kamen multifunktionale Obstkisten zum Einsatz. Diese sind in der Bodenseeregion, die für ihre Apfelproduktion bekannt ist, leicht zu bekommen. Die Kisten sind stapelbar, licht- und luftdurchlässig und wirken durch ihre graue Farbe unaufdringlich im Raum. Sie wurden im Obergeschoss als Trennwand zu Ignacio Acostas Videoarbeit und im Untergeschoss als Unterbau für die Tafel im Nachhaltigkeitslabor eingesetzt.

Die dritte raumteilende Variante sind Bauzäune, von denen letztlich nur einer zum Einsatz kam. Der involvierte Zaun trennt nicht nur Kristina Õlleks Arbeit räumlich vom Nachhaltigkeitslabor ab, sondern wurde auch Teil ihrer Installation.

Ausstellungsansicht der künstlerischen Arbeit Nautilus New Era von Kristina Õllek in der Ausstellung Into the deep. Minen der Zukunft. © Zeppelin Museum Friedrichshafen, Foto: Tretter

Der Minenschacht des Themenbereichs „Aluminium“, der aus Bestandsstellwänden gebaut ist, wurde mit denselben Spiegelplatten ausgekleidet, die dem Raum in Fetisch Zukunft ein futuristisches Ambiente verliehen. Ergänzend dazu wurden Lastregalböden verbaut, die aus dem Lager des Museums stammen und nach Ausstellungsende wieder ihrem eigentlichen Zweck zugeführt werden.

Das Cadavre Exquis aus Fetisch Zukunft wurde wiederbelebt und bekam einen neuen Standort im Obergeschoss. Dort ist auch die Installation von Bethany Rigby zu sehen, die auf einem Tisch aus Fetisch Zukunft aufgebaut wurde.

Nach unserer bisherigen Erfahrung ist die Abnutzung von Möbeln in Ausstellungen relativ gering und nicht mit Ausstellungsstücken in beispielsweise Möbelhäusern vergleichbar, die von Kund*innen gezielt getestet werden. Die größte Abnutzung wiesen bisher die Böden der Ausstellungsflächen auf. Dennoch wurden in Into the deep auch Teppichelemente wiederverwendet, die im Fundus des Museums vorhanden waren. Nach der Reinigung der Teppiche wurden diese als Auflagen für die Palettenhügel genutzt, um den Besucher*innen eine bequeme Sitzmöglichkeit bieten zu können.  

Genannte Sitzforen aus Paletten, die sowohl im Ober- als auch im Untergeschoss zu finden sind, dienen als Versammlungsbereiche für Gruppen, als Lesefläche oder als Sitzmöglichkeit, um sich in die Videoinstallation von Ignacio Acosta oder das großflächige Wandbild von Bureau d’études vertiefen zu können, aber auch als Plattform für Vorträge und Gesprächsrunden. Besucher*innen können sich in diesen Bereichen auch niederlassen und verweilen oder sich eingängig mit den Themen und Exponaten der Ausstellung befassen. Im Gegensatz zu den gängigen Paletten aus Holz, die von Speditionslieferungen bekannt sind, bestehen die Paletten im Zeppelin Museum aus recyceltem Kunststoff. Dies erscheint in einer Ausstellung, die besonders klimabewusst durchgeführt wird, erst einmal kontraintuitiv, jedoch erweist sich die Kunststoffalternative in vielen Bereichen der gängigen Holzvariante überlegen. Für die Produktion einer Holzpalette ist das Fällen von Bäumen notwendig. Die 100% recycelbare Kunststoffpalette, die ihrerseits aus Kunststoffabfällen besteht, funktioniert als Schlüsselelement in der Kunststoffrecyclingkette. Die Liste der Vorteile geht allerdings weit darüber hinaus: Zunächst werden die Paletten von der lokalen Firma CargoPlast® GmbH aus Salem aus Recyclingmaterial hergestellt, das so dem Materialkreislauf erhalten bleibt und nicht im Abfall landet. Kunststoffpaletten sind zudem leichter als Paletten aus Holz, sodass wir durch den lokalen Anbieter und das verringerte Gewicht erheblich Emissionen beim Transport einsparen konnten. Obwohl in einer Museumsausstellung Wasser und Feuchtigkeit eine eher untergeordnete Rolle spielen, erweist sich Kunststoff auch in diesem Bereich als vorteilhafter durch seine Wasserundurchlässigkeit. Sie sind außerdem dimensionsstabil in jeder Umgebung und jeder Situation, wohingegen Holz bei Kontakt mit Wasser oder Feuchtigkeit seine Form und das Gewicht verändert. Hierbei besteht auch das Risiko, dass sich Infektionen und Parasiten im Material ausbreiten. Holzpaletten sind im Gegensatz zu Kunststoff schwer zu reinigen. Bei zunehmender Anwendung lockern sich die Komponenten und die Einzelteile zersplittern. Kunststoffpaletten sind bis zum Ende der Nutzungsdauer haltbarer und sie verfügen insgesamt über einen längeren Lebenszyklus und das bei keiner Wartung, keinem Risiko von Fäulnis und Reparaturmöglichkeiten, für die es keine speziellen Maschinen oder Fachpersonal bedarf. Aufgrund der Tatsache, dass sie widerstandsfähiger sind und ihre Abmessungen und Formen unverändert bleiben, werden weniger Kunststoffpaletten in den Produktionslinien zurückgewiesen. Daher können sie über Monate in der Ausstellung eingesetzt und danach problemlos an den Hersteller zur Weiternutzung zurückgegeben werden, ohne dass ein Qualitätsverlust entsteht.

Ausstellungsansicht der künstlerischen Arbeit Mining the Skies von Bethany Rigby in der Ausstellung Into the deep. Minen der Zukunft. © Zeppelin Museum Friedrichshafen, Foto: Tretter

Die Wände der Ausstellungsräume wurden mit der hochwertigen in Deutschland klimaneutral produzierten Caparol Green Indeko-plus Farbe gestrichen. Sie ist ressourcenschonend und ergiebiger als herkömmliche Farbe. Die Gebinde der Farbeimer bestehen zu 70% aus recyceltem Plastik und lassen sich wiederum selbst komplett recyceln. Dies spart je 12,5l Gebinde 0,4 kg CO₂ ein. Auch bei der Rezeptur besticht die Farbe durch Nachhaltigkeit. Im Bindemittel werden 100% nachwachsende Rohstoffe verwendet (Biogas und Bio-Naphtha). Diese werden aus zertifizierter Biomasse gewonnen und ersetzen die fossilen Rohstoffe vollständig. Dadurch werden bis zu 62% CO₂ im Vergleich zu herkömmlichen Bindemitteln eingespart. Obwohl die Farbe noch nicht Blauer Engel zertifiziert ist, hat sie uns durch ihre Herstellungsart und die Emissionsarmut überzeugt. Durch ihre Deckkraft erfüllte sie zusätzlich zu unseren Nachhaltigkeitskriterien auch alle ästhetischen Ansprüche für den Raum.

Die Objekttexte in der Ausstellung Into the deep wurden mithilfe von Nägeln und Foldbackklammern an den Wänden befestigt.
© Zeppelin Museum Friedrichshafen

In vorherigen Ausstellungen wurden die Wandtexte entweder direkt auf die Wand gedruckt, geklebt oder auf große Platten, die ihrerseits an der Wand oder Decke befestigt werden mussten, übertragen. All diese Verfahren wollten wir aufgrund des Nachhaltigkeitsanspruchs in Into the deep vermeiden. Die Suche nach Alternativen erforderte von unseren Grafiker*innen einen Deep Dive in Papiersorten und Druckverfahren. Da sich ein Materialmix immer schlechter (meistens gar nicht) recyceln lässt, war der Einsatz von Klebstoffen auf jeden Fall ausgeschlossen. Gemäß der Nachhaltigkeitsstrategie des Museums durfte für alle Druckerzeugnisse nur zertifiziertes Blauer Engel Recyclingpapier verwendet werden. Für alle unsere Printprodukte arbeiten wir standardmäßig mit einer klimaneutralen Druckerei zusammen. Diese kann unseren Standardbedarf sehr gut abdecken. Für eine Ausstellung werden zusätzlich jedoch auch Großformate benötigt, für welche wir weitere Druckereien anfragten. Alle kontaktierten Druckereien bestätigten uns, dass der Einsatz von Biofarben bei Großformaten bisher noch nicht möglich sei. Die Produktion von neuen Platten, die eine Druckerei für ein solches Vorhaben anfertigen müsste, sind sehr energieaufwändig und würden die Vorteile einer Biofarbe durch die Produktionsemissionen mehr als wieder aushebeln. Hinsichtlich der Großdrucke, die spärlich eingesetzt wurden, musste also zugunsten einer einfacheren Produktion auf Biofarbe verzichtet werden. Alle anderen Drucke wurden jedoch konsequent mit sowohl zertifiziertem Papier als auch Biofarbe mithilfe von Ökostrom hergestellt. Für die Befestigung wurde auf Klammern zurückgegriffen, mit welchen die Texte an Nägeln an die Wand gehängt werden konnten. Mit diesem Vorgehen nahmen wir das Risiko in Kauf,  dass das Papier während der Ausstellungslaufzeit aufgrund von Rissen oder starken Knicken sowie Entwendung ausgetauscht werden muss. Tatsächlich halten sich die Beschädigungen bisher jedoch in Grenzen und das Mitnehmen der Erklärkarten – ein Angebot unserer Vermittlungsabteilung – konnte durch einen simplen Hinweis an der Wand beendet werden.

Fabio Biesel bläst das Keyvisual der Ausstellung Into the deep an die Wand. © Zeppelin Museum Friedrichshafen

Dieser Hinweis, wie alle weiteren Beschriftungen innerhalb der Ausstellung, wurde mit Kreide an die Wand geschrieben. Auch die Gestaltung des Palettenforums im Untergeschoss und die Ausstellungstitel wurden von unserem Grafiker Fabio Biesel händisch oder per Blasrohr und eigener Puste angebracht. Bei einer Wandbeschriftung mit nicht fixierter Kreide oder Kohle bleiben Schmierereien natürlich nicht aus. Doch auch diese sind bis heute überschaubar. Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Kreide, die für Besucher*innen im Rahmen der Diskussionswand im Nachhaltigkeitslabor bereitliegt, nur auf den ausgewiesenen Flächen genutzt wurde. Unsere Erfahrung mit dieser Art der Textgestaltung lässt sich bisher also fast durchweg positiv festhalten.

Auf der Diskussionwand im Nachhaltigkeitslabor sind Besuchende eingeladen ihre Gedanken zum Thema der Ausstellung niederzuschreiben. © Zeppelin Museum Friedrichshafen, Foto: Tretter
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