Teil II: Vor 110 Jahren – Der Bodensee-Wasserflug in Konstanz vom 29. Juni – 5. Juli 1913

Der Große Preis vom Bodensee

Mit besonderer Spannung erwartete das Publikum den großen Preis vom Bodensee, denn hier war wegen der hohen technischen und fliegerischen Anforderungen des Reichsmarineamts mit den interessantesten Wettflügen zu rechnen.

Sieger sollte sein, wer zweimal die Strecke von Konstanz nach Lindau und zurück, zusammen rund 200 Kilometer, in der schnellsten Zeit durchflog. Bedingung war die Mitnahme einer zweiten Person, deren Körpergewicht mit dem des Piloten addiert und bei Unterschreitung durch Ballast auf die für beide zusammen vorgeschriebenen 180 Kilogramm gebracht wurde.

Beim ersten Abflug in Konstanz hatten die Piloten die Wahl zwischen einem Land- oder einem Wasserstart. Kontrollstellen gab es in Romanshorn, Arbon und Bregenz und nach der Wasserlandung in einem markierten Viereck vor Lindau musste der Motor ab- und wieder angestellt werden. Mit der Wende vor Konstanz begann die zweite Runde in Richtung Lindau. Bezüglich der Flughöhe wurde nur verlangt, einmal 500 Meter zu erreichen.

Kießling mit einem Ago-Gitterschwanz-Doppeldecker beim Landstart. Zeppelin Museum Friedrichshafen
Kießling mit einem Ago-Gitterschwanz-Doppeldecker beim Landstart in Staad. Zeppelin Museum Friedrichshafen


Jeder Teilnehmer hatte beliebig viele Versuche, um Zeiten der Konkurrenz zu unterbieten. Der Schnellste über beide Runden, einschließlich der Starts und Landungen, bekam die bereits im 1. Teil der Beitragsserie erwähnten 25.000 Mark, auf den zweiten Platz entfielen 10.000 und auf den dritten Platz noch immerhin 5.000 Mark.


Ein verregneter Auftakt

Der erste Tag des Bodensee-Wasserflugs am 29. Juni 1913 fiel allerdings buchstäblich ins Wasser, denn starke Regenböen über dem westlichen Bodensee unterbanden jeden Flugbetrieb. Nachmittags erschien der Großherzog von Baden als Schirmherr der Veranstaltung, um die Flugzeuge zu besichtigen und die Piloten zu begrüßen.

Als sich das Wetter am 30. Juni deutlich besserte, begannen die ersten Piloten mit ihren Befähigungsnachweisen. Wer dabei der Abnahmekommission demonstrierte, dass er auf dem Land und dem Wasser starten und landen, den Motor ab- und zuverlässig wieder anstellen und eine Flughöhe von mindestens 200 Metern erreichen konnte, war zur Teilnahme am großen Preis vom Bodensee berechtigt. Das schafften an diesem Tag Thelen auf Albatros-Doppeldecker, Hirth auf Albatros-Eindecker, Gsell auf dem Flugzeugbau-Friedrichshafen-Doppeldecker FF 9 und Kießling auf einem Ago-Doppeldecker.

Der Rettungsdienst war zum ersten Mal gefordert, als der Aviatik-Pilot Stoeffler bei einer Wasserlandung vergaß, sein Fahrgestell hochzuziehen. Der folgende Überschlag führte zur schweren Beschädigung des Flugzeugs, Stoeffler wurde herausgeschleudert und konnte ans Ufer schwimmen. So war Aviatik nur noch mit einem Flugzeug im Rennen. Die Gothaer Waggonfabrik hatte noch größeres Pech, denn sie war gezwungen, sich wegen einer Erkrankung ihres einzigen Piloten Bruno Büchner ganz aus dem Wettbewerb zurückziehen.

Bergung des Aviatik-Flugzeugs nach Stoefflers missglückter Wasserlandung mit Überschlag. Zeppelin Museum Friedrichshafen
Bergung des Aviatik-Flugzeugs nach Stoefflers missglückter Wasserlandung.
Zeppelin Museum Friedrichshafen


Das Rennen um den großen Preis beginnt

Am 1. Juli 1913, einem Montag, um 8:52:29 Uhr morgens startete Gsell mit dem Monteur Kramer in der FF 9 Richtung Lindau. Der Gitterschwanz-Doppeldecker mit einem Zentralschwimmer und zwei Stützschwimmern unter dem Tragwerk hatte eine Spannweite von 15 Metern und war als konsequente Weiterentwicklung aus der im Vorjahr in den USA gekauften Curtiss A-1 Triad hervorgegangen. Angetrieben von einem NAG-Motor mit einer Leistung von 150 PS erreichte die FF 9 eine für ein Wasserflugzeug damals sehr beachtliche Höchstgeschwindigkeit von 115 km/h. Die Fachpresse hob anerkennend die große Festigkeit bei geringem Gewicht hervor, ein besonderes Qualitätsmerkmal aller späteren Kober-Flugzeuge: die FF 9 wog leer nur 850 Kilogramm und hatte ein maximales Abfluggewicht von 1.250 Kilogramm.

Die FF 9 wird für einen Flug vorbereitet. Zeppelin Museum Friedrichshafen
Die FF 9 wird für einen Flug vorbereitet. Im Cockpit der Pilot Gsell und der Monteur Kramer. Zeppelin Museum Friedrichshafen


Thelen folgte Gsell um 8:56:09 Uhr, also weniger als vier Minuten später. Sein Albatros-Rumpfdoppeldecker mit einer Spannweite von 14,6 Metern, zwei Hauptschwimmern unter dem Tragwerk und einem Hilfsschwimmer am Rumpfheck hatte einen Mercedes-Motor mit einer Leistung von 100 PS. Damit lag die Höchstgeschwindigkeit bei nur 95 km/h. Thelen schaffte den Flug zwar in 128 Minuten und 41 Sekunden, Gsell war mit 106 Minuten und 51 Sekunden aber um mehr als 20 Minuten schneller.

Die beiden Albatros-Flugzeuge für den großen Preis: der von Thelen geflogene Rumpfdoppeldecker vor Hirths Eindecker. Zeppelin Museum Friedrichshafen
Albatros-Flugzeuge beim Bodensee-Wasserflug: der von Thelen geflogene Rumpfdoppeldecker vor einem der beiden Eindecker. Zeppelin Museum Friedrichshafen


Am Nachmittag dieses 1. Juli startete auch Kießling mit seinem Ago-Doppeldecker um den großen Preis. Nach der Landung vor Lindau verhinderte das Zerreißen eines Kühlwasserrohrs den Rückflug und dem frustrierten Piloten blieb nur, sich auf dem Wasser nach Konstanz zurück schleppen lassen. Dann schied nach Stoeffler auch der zweite Aviatik-Pilot aus, als Faller beim Versuch eines Landstarts zum Befähigungsnachweis die Kontrolle über sein Flugzeug verlor, das ausbrach und schwer beschädigt wurde. Der Pilot kam mit leichten Blessuren davon.

Fallers Bruch mit dem zweiten Aviatik-Flugzeug im Wettbewerb. Zeppelin Museum Friedrichshafen
Fallers Bruch bei einem missglückten Start. Damit waren beide Aviatik-Flugzeuge aus dem Rennen. Zeppelin Museum Friedrichshafen


Der Zweikampf zwischen Gsell und Hirth

Nachdem für den Vormittag des 2. Juli 1913 eine Ruhepause angesetzt war, verging der Rest des Tages mit weiteren Befähigungsnachweisen, Steig- und Probeflügen und dem Beginn der Konkurrenz der Sportflugzeuge.

Am Nachmittag des 3. Juli ging es dann wieder um den großen Preis. Kießling hatte mit dem Ago-Doppeldecker auch bei seinem zweiten Anlauf kein Glück, denn eine neuerliche technische Panne zwang ihn zu einer Notwasserung vor Manzell.

Zur Sensation des Tages entwickelte sich aber der Flug Hirths, dem viele von Anfang an gute Siegeschancen um den großen Preis zugetraut hatten. Schließlich verfügte er über großes fliegerisches Können, das er vor dem Bodensee-Wasserflug allerdings vor allem in der Landfliegerei unter Beweis gestellt hatte.

Hirths von Ernst Heinkel konstruierter Albatros-Eindecker mit einer Spannweite von 12,6 Metern war direkt aus einem Land-Rennflugzeug abgeleitet worden. Die beiden Schwimmer mit Stufen hatten innen eine Schottenteilung, das Rumpfende stützte auf dem Wasser ein kleiner Hilfsschwimmer. Auch dieses Albatros-Flugzeug trieb ein Mercedes-Motor mit 100 PS an. Angesichts der verglichen mit anderen Teilnehmern geringen Leistung war die Höchstgeschwindigkeit von 110 km/h sehr hoch, was durch die widerstandsärmere Auslegung als Eindecker und die Formgebung des bestechend eleganten und glatten Sperrholzrumpfs erreicht wurde.

Der erstplatzierte Albatros-Eindecker mit Hirth im Cockpit und seinem Monteur, rechts der Konstrukteur des Flugzeugs Ernst Heinkel. Zeppelin Museum Friedrichshafen
Der erstplatzierte Albatros-Eindecker mit Hirth im Cockpit, dahinter sein Monteur, rechts an der Maschine Heinkel. Zeppelin Museum Friedrichshafen


Am Nachmittag um 3:43:10 Uhr startete Hirth vor Konstanz vom Wasser und beendete um 5:29:46 Uhr seine zweite Runde. Mit 106 Minuten und 51 Sekunden hatte er die Zeit Gsells um nur 35 Sek. unterboten. Es war klar, dass Gsell mit der FF 9 bei nächster Gelegenheit kontern würde. Um ein Zeichen zu setzen, unternahm er nach der Landung Hirths mit zwei Personen einen Testflug nach Romanshorn.

Die Leistungen von Gsell und Hirth hatten gezeigt, dass nur wenige Sekunden über den Sieg entscheiden konnten. Das löste im ganzen Fliegerlager hektische Aktivität aus. Die Teams arbeiteten fieberhaft an ihren Flugzeugen, probierten alle möglichen Propellervarianten aus oder behandelten die Schwimmerböden mit Schmierseife, um die Gleitfähigkeit auf dem Wasser zu verbessern.


Eine besonders kostspielige Zündkerze

Am Nachmittag des 4. Juli 1913 brach der unermüdliche Kießling mit dem Ago-Doppeldecker zu seinem dritten Versuch um den großen Preis auf. Dieses Mal ging alles glatt und er wasserte nach 134 Minuten wieder in Konstanz. Mit dieser Zeit konnte er aber bei Weitem nicht in den Zweikampf zwischen Albatros und dem Flugzeugbau Friedrichshafen eingreifen.

Im dritten Anlauf bewältige auch Kießling mit seinem Ago-Gitterschwanz-Doppeldecker die Aufgabe für den großen Preis. Zeppelin Museum Friedrichshafen
Im dritten Anlauf bewältige auch Kießling mit seinem Ago-Gitterschwanz-Doppeldecker die Aufgabe für den großen Preis. Zeppelin Museum Friedrichshafen


Mit Spannung erwartet startete Gsell die FF 9 um 4:00:36 Uhr vor Konstanz aus dem Wasser, um Hirths Bestzeit anzugreifen. Was dann geschah beschrieb er in seiner lesenswerten und humorvollen Autobiographie „25 Jahre Luftkutscher“ so: „Ich muss Hirth um die 35 Sekunden schlagen – sie machen 15.000 Mark aus! Leider weht ein böiger Südwest. Ich fliege hoch mit Rückenwind und knapp über dem Wasserspiegel bei Gegenwind, denn mit der Höhe nimmt bekanntlich die Windgeschwindigkeit zu, während sie sich direkt über dem Wasser durch Oberflächenreibung verringert. Nach der ersten Runde habe ich meine eigene Zeit um dreieinhalb Minuten verbessert, die 25.000 Mark winken! Begreiflich, dass ich wüte, als in der zweiten Runde vor Arbon eine Zündkerze ausbläst. Mit fünf Zylindern ist nichts zu machen. Geringer Trost, dass der Automobilfabrikant Saurer mir rasch eine Kerze bringt! […] Jedenfalls ist das meine teuerste Kerze und sind es die kostspieligsten 35 Sekunden gewesen.

Auch Gsells Versuch, am letzten Tag des Bodensee-Wasserflugs doch noch den ersten Platz für den Flugzeugbau Friedrichshafen zu erringen, scheiterte. Bei der Zwischenwasserung vor Lindau dauerte das Anlassen des Motors zu lange, so dass Gsell mit 108 Minuten hinter seiner eigenen Bestzeit blieb.

So mussten sich Kober und sein enttäuschter Pilot mit dem zweiten Platz im großen Preis und 10.000 Mark begnügen, dazu kamen noch einige Prämien und Ehrenpreise. Aber auf lange Sicht wichtiger war, dass die Entscheidungsträger im Reichsmarineamt auf die konstruktive und fertigungstechnische Qualität sowie die Robustheit der Wasserflugzeuge vom Bodensee aufmerksam geworden waren.

Außerdem hatte der Flugzeugbau Friedrichshafen im Rennen der Sportflugzeuge noch ein Eisen im Feuer.

Der 3. und letzte teil der 3-teiligen beitragsserie erscheint am mittwoch, den 5. juli 2023.
Quellen und Literatur*

Ausschreibung des Bodensee-Wasserflugs, in: Deutsche Luftfahrer-Zeitschrift. Amtsblatt und Eigentum des Deutschen Luftfahrer-Verbandes, XVII. Jahrgang 1913, Nr. 12, S. 295f.

Béjeur, Paul: Der Bodensee-Wasserflug 1913, in: Deutsche Luftfahrer-Zeitschrift. Amtsblatt und Eigentum des Deutschen Luftfahrer-Verbandes, XVII. Jahrgang 1913, Nr. 14, S. 228f.

Der Bodensee-Wasserflug 1913, in: Deutsche Luftfahrer-Zeitschrift. Amtsblatt und Eigentum des Deutschen Luftfahrer-Verbandes, XVII. Jahrgang 1913, Nr. 16, S. 378-381.

Ursinus, Oskar: Bodensee-Wasserflug 1913, in: Flugsport. Illustrierte technische Zeitschrift und Anzeiger, No. 13, 25. Juni 1913, Jahrgang 5, S. 457-464.

Ursinus, Oskar: Bodensee-Wasserflug 1913, in: Flugsport. Illustrierte technische Zeitschrift und Anzeiger, No. 14, 25. Juni 1913, Jahrgang 5, S. 493-509.

Seeblatt. Tages- und Anzeigeblatt der Stadt Friedrichshafen, mehrere Ausgaben zwischen April und Juli 1913.

Gsell, Robert: 25 Jahre Luftkutscher. Vom Luftsprung zur Luftbeherrschung. Erlenbach-Zürich/Leipzig 1936.

Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.): Die Militärluftfahrt bis zum Beginn des Weltkrieges 1914, drei Bände, Textband, zweite überarbeitete Auflage, Frankfurt/Main 1966.

Ewald, Gustav: Theodor Kober. Der erste Ingenieur des Grafen Zeppelin 1892-1919 (Textband), o.O. 1971.

Borzutzki, Siegried: Flugzeugbau Friedrichshafen GmbH. Diplom-Ingenieur Theodor Kober, Berlin, Königswinter 1993.

Wilczek, Elmar: Wasserflugzeuge vom Bodensee, in: Wolfgang Meighörner (Hrsg.): Zeppelins Flieger. Das Flugzeug im Zeppelin-Konzern und seinen Nachfolgebetrieben, Friedrichshafen 2006, S. 153 ff.

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*Die Inhalte dieses Quellen- und Literaturverzeichnisses beziehen sich auf alle drei Teile der Beitragsserie.

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