Der Eine langweilte sich, der Andere vergnügte sich, die Nächste fand im See die eigene Seele wieder. Ob Annette von Droste-Hülshoff, Hermann Hesse und Hans Purrmann, Martin Walser und André Ficus oder Henry van de Velde und René Schickele: Künstler*innen und Schriftsteller*innen, die am Bodensee lebten, pflegten enge Verbindungen. Die interdisziplinäre Ausstellung Beziehungsstatus: Offen. Kunst und Literatur am Bodensee nimmt den Bodensee als kreativen Schaffensort in den Blick und untersucht die wechselseitigen Beziehungen zwischen Literatur und Kunst.
Dabei ist Partizipation ein wesentlicher Bestandteil. Mit einem Aufruf zur Beteiligung auf nextmuseum.io konnten Künstler*innen und Schriftsteller*innen eigene Beiträge zum Thema „Kunst und Literatur am Bodensee“ einreichen. Per Publikumsvoting wurden die Gewinner*innen ermittelt und in die Ausstellung aufgenommen. Über 3500 Stimmen wurden abgegeben und 20 Werke ausgewählt. Diese Form des partizipativen Kuratierens öffnet das Ausstellungsformat und schlägt einen Bogen zur aktuellen künstlerischen und literarischen Auseinandersetzung mit dem Bodensee.
Am 6.11.2022 endet Beziehungsstatus: Offen. Kunst und Literatur am Bodensee. Unter dem Titel Ende: Offen widmet sich die Finissage den Künstler*innen und Schriftsteller*innen des Open Calls, deren Beiträge wir im Folgenden näher vorstellen. Lernen Sie Ihre Motivationen und Techniken kennen und bringen Sie sich Ihre Werke ins Gedächtnis!
An dieser Stelle herzlichen Dank an alle, die Ihre Antworten eingesendet haben!
Ellinor Amini
Was motiviert dich? Mit welchen Themen setzt du dich auseinander?
Motivieren und inspirieren kann mich eigentlich alles, denn alles ist relevant. Ein Stein auf dem Boden, ein gefundenes Buch, ein altes MRT-Bild, ein zufälliges Gespräch mit einem fremden Menschen, … Mich hat schon vieles zu einem Kunstwerk inspiriert, es muss nur der Funke einer Idee überspringen. Das ist, wie sich zu verlieben – ein Moment. Dann nimmt die Idee in meinem Kopf eine Form an. Dabei beschäftigen mich vielfältige Themen, wie die Gleichberechtigung und ihre historische Aufarbeitung, Grenzen und Staatlichkeit, Erinnerungen, der Mensch und sein Körper und Geist.
Was sind deine Vorbilder bzw. auch was lehnst du ab?
Meine Vorbilder sind Menschen, die ihre Berufung und Leidenschaft im Leben gefunden haben und trotz aller Widrigkeiten alles dafür tun. Menschen mit einer Vision, die Welt besser zu machen, haben immer spannende Lebensgeschichten! Was ich aber ablehne, ist Held*innenverehrung. Zwar heißt eines meiner Projekte HIDDEN SHEROES, aber das soll nur im übertragenen Sinne zu verstehen sein. Andere Menschen und ihre Leben können inspirieren und motivieren, aber ich bin der Meinung, man sollte niemanden auf einen Sockel stellen, sondern immer nach seinen eigenen Prinzipien leben und handeln.
Wie definierst du Kunst für dich?
In den letzten Jahren habe ich für viele meiner Werke den Begriff „Bildende Kunst“ neu definiert, denn Kunst und die damit verbundene Visualisierung von Inhalten ist immer eine Verbindung von Ästhetik und Perspektive und somit Macht. Viele Menschen sehen ausgestellte Kunst und nehmen das Gesehene und die Energie daraus mit in ihr Leben und ihren Alltag. Das möchte ich in meiner Arbeit thematisieren und habe für mich deshalb den Begriff „Bildende Kunst x 3“ definiert: 1. Bildend im Sinne von gestaltend, 2. Bildend im Sinne von weiterbildend und 3. Bildend im Sinne von meinungsbildend, damit sich die Betrachtenden durch die visuell vermittelten Inhalte selbst eine Meinung zu dem dargestellten Thema bilden können und im besten Fall ein Dialog und Austausch über das Werk stattfindet
Anna Bertle
Mit welchen Themen setzt du dich auseinander? Und warum, was fasziniert dich?
Ein großer Teil meiner Arbeiten ist von der Natur inspiriert, von Sonnenlicht auf verschiedenen Oberflächen, Tieren, Pflanzen, Stimmungen. Einfach weil es mir gefällt und weil die Themen unerschöpflich sind.
Hast du noch einen anderen Job? Wie beeinflusst das Thema „Geld verdienen“ deine Arbeit?
Der Druck meine Unikate verkaufen zu müssen, um davon zu leben, würde mich zu sehr hemmen. Einen anderen geregelten Job zu haben, der mir auch gefällt, gibt Sicherheit und kreative Freiheit.
Was motiviert dich?
Vor allem die Freude der Kund*innen an meinen Unikaten. Etwas zu fertigen, das einzigartig ist.
Ulrike Blatter
Nur kurz sah er den Wassermann. Er schien zu lächeln.
Auszug aus „Der Hütejunge“
Sie riss den Mund auf und das Wasser strömte kühl, grün, erstickend. Sie wurde eins mit dem Wasser.
Auszug aus „unerhört“
Ulrike Blatter, Still ruht der See? Strömungen unter der Oberfläche – ein Erinnerungsprojekt
Wie sieht dein Arbeitsplatz/Schreibtisch aus?
Für Nicht-Eingeweihte chaotisch. Aber ich finde immer mit einem Griff genau das, was ich suche. Außerdem arbeite ich nicht nur am Schreibtisch: Auf dem Boden finden sich Stapel, die nach Sachgebieten sortiert sind. Ich sitze also auch öfters mal auf dem Boden.
Mit welchen Themen setzt du dich auseinander? Und warum, was fasziniert dich?
Aktuell konzentriere ich mich auf die Recherche von vier Frauengenerationen meiner Familie. Es geht um eine lange Tradition von Gewalt, aber auch darum, woher die Kraft zum Überleben kommt. Ich schaue mir dieses Thema aus verschiedenen Perspektiven an: Psychologisch, zeithistorisch, regional. Mich fasziniert an dieser Arbeit die Vielfalt der Schicksale, die Begegnungen mit Zeitzeug*innen, das Wühlen in Archiven und nicht zuletzt die Hoffnung, dass die Generation unserer Töchter bessere Startbedingungen hat.
Wie definierst du das, was du machst? Oder brauchst du gar keine Definition?
Ich nenne es Erinnerungsarchäologie.
Marlene Jäkle
Der See hat lang auf mich gewartet;
ergeben nehm´ich es in Kauf.
Der Zauber hat bereits gestartet;
ich zwing´ ihm mein Geheimnis auf.
Marlene Jäkle, Der Therapeut, 29.09.2021 (Auszug)
Was brauchst du, um schreiben zu können?
Zunächst natürlich Inspiration. Diese ist in der Regel kein Problem für mich, denn sie ist quasi überall, flirrt durch die Atmosphäre auf der Suche nach einem offenen Geist. Wenn Sie mich trifft, bin ich „entzündet“, und habe praktisch keine Ruhe mehr, bis die Idee umgesetzt ist. Das ist ein großes Geschenk, kann mir aber auch den Schlaf rauben. Und ich brauche einen „freien Rücken“. Wenn ich den Kopf nicht frei habe, weil auch Alltäglichkeiten ihren Tribut fordern, kann ich mich dem Prozess nicht hingeben.
Was motiviert dich?
Die Fülle an Möglichkeiten – Kunst ist ja grenzenlos. Unsere wunderbare Sprache als Einladung, mit ihr zu spielen oder aus ihrer Vielfältigkeit möglichst passende Worte zu wählen, um etwas Bestimmtes zu beschreiben. Und nicht zuletzt die eigentümliche, eigentlich magische Stimmung, die entsteht, wenn ich mich dem „Auftrag“ hingebe. „Es schreibt mich“, wie ich gern sage. Ach ja, und die Spannung auf das Ergebnis, denn ich weiß im Vorfeld nie, wie ein Text endet!…
Wie strukturierst du dich? Hast du feste Zeiten oder arbeitest du spontan?
Wenn man für Ideen und Geistesblitze offen sein möchte, muss man spontan arbeiten (können). Das ist nicht wirklich immer realistisch, aber ich mache mir dann wenigstens Notizen, damit die Idee erstmal festgehalten ist. Gedanken sind sehr flüchtig, und meist unwiderruflich verloren, wenn man sie nicht ernst nimmt und festhält. Und – sie sind kostbar!
Ilenia Lanari
Wie sieht dein Arbeitsplatz aus?
Ich habe das Glück, in einem Atelier am Osthafen in Überlingen mit drei anderen Künstlerinnen zu arbeiten, wenige Schritte vom Bodensee entfernt. Dort kann ich Projekte wie großformatige Ölbilder realisieren und sehr experimentierfreudig sein. Terpentin, Sprays, permanente Farben zu benutzen ist da kein Problem und meine Kreativität wird nicht eingeschränkt und kann sich austoben.
Mit welchen Themen setzt du dich auseinander? Und warum, was fasziniert dich?
Da ich mich sehr für Transformationen von visuellen Eindrücken und von inneren Abläufen interessiere, ist für mich Wasser ein sehr inspirierendes Medium. Ich wohne am schönen Bodensee, studiert habe ich unter anderem in Venedig. Das fließende Wasser und dessen Reflexionen, die Beweglichkeit der verwaschenen Oberflächen mag ich ganz besonders. Sie sind für mich eine Metapher für die Unbeständigkeit der Realität und vor allem unserer Vorstellungen. Permanenz ist eine Illusion, weil alles vergänglich ist und sich verändert. Die Wahrnehmung der Vergänglichkeit der Phänomene erlaubt einen gelassen Blick auf den Fluss der Dinge. Meine Bilder möchten bewusst machen, wie fragil und täuschend die äußere Wirklichkeit sein kann. Es gibt nie die eine Sicht auf die Dinge, sondern viele. Ich versuche mit meiner Kunst den flüchtigen Moment auf Leinwand festzuhalten, ihn zu behalten, ihn wahrnehmbar zu machen. Dabei ist der Moment jedoch nur subjektiv erfassbar. Der Blick auf die äußere Wirklichkeit ist für jeden immer ein anderer. Was wir sehen, ist von der inneren Welt, von unseren Erfahrungen, unseren Ansprüchen und Wünschen manipuliert. Meine Bilder und die Idee dahinter sind auch ein Ergebnis meiner Beobachtungen, meiner Lektüren, meines akademischen Studiums, meiner visuellen Eindrücke …
Wie definierst du das, was du machst?
Meine Kunst ist poetisch, reflexiv, offen. Meine Kunst möchte nicht nur dekorativ sein, sondern den Betrachter zum Nachdenken einladen über die subtile Grenze zwischen Realität und Illusion. Viele meiner Kunstwerke, ob Ölbilder oder Fotos, möchten eine Aussage machen über die Dualität der Realität und des Scheins, über das Gefühl des Horizontverlustes, über die Reflexion über sich selbst.
Marek Silka

Wie definierst du das, was du machst? Oder brauchst du gar keine Definition?
Ich definiere meinen Ansatz als, im weitesten Sinne anarchistisch da er sich zum Einen einer leitenden Kunstrichtung zu entziehen versucht, womit der Versuch einer Definition gar nicht erst zu erfolgen braucht. Zum Anderen setzen sich einzelne Arbeiten inhaltlich mit den Themen der Selbst- und Fremdbestimmung, der Über- und Unterordnung und, auf einer ganz allgemeinen Ebene mit dem Freiheitsbegriff auseinander.
Was sind Deine Vorbilder bzw. auch was lehnst du ab?
Joseph Beuys soll auf die Frage, ob er ein Anarchist sei, einmal mit einem deutlichen Ja geantwortet haben. Für mich ist er einer der Künstler, die über ihre Arbeit und Initiativen immer wieder auch konkrete, gesellschaftspolitische Effekte erzielt haben. Vor seinem unermüdlichen Handeln und seinen vielfältigen, gestalterischen Aktivitäten habe ich nach wie vor großen Respekt.
Wie definierst du Kunst für Dich?
Kunst hat für mich persönlich, außer sie entsteht als von außen aufdoktriniert, stets anarchistische Anteile, da ich sie als selbstwirksamen Akt annehme, idealerweise als ein befreiendes Erleben seines persönlichen Vermögens
Marion Uphues-Klee
Was motiviert dich? Mit welchen Themen setzt du dich auseinander, was fasziniert dich?
Ich möchte es den „malerischen Reiz“ bezeichnen, den ich bei der Auswahl einer Szene, eines Motivs empfinde. Eine Landschaft, ein Lebewesen oder auch einen schlichten Gegenstand so ästhetisch in der Momentaufnahme eines Augenblicks festzuhalten, ist dabei mein Anliegen. Ein zentrales Element ist der ständige Prozess der Veränderung und der Vergänglichkeit. Im Zeitraum nur meines bisherigen Lebens hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt auf ca. 7.98 Milliarden Menschen. Wir verbrauchen im Moment die Ressourcen von mehr als 1,6 Erden. Wie lange können wir noch so weitermachen? Vielleicht ist es diese Urangst vor dem Vergehen, vielleicht auch vor dem eigenen, die die Motivation immer wieder generiert? Die Schönheit der Natur und eine intakte Umwelt zu bewahren, kann für uns alle Aufgabe und Herausforderung sein. Ich möchte einladen, einzutauchen in beeindruckende Landschaften, pulsierende Städte, sonnendurchflutete Orte oder in Szene gesetzte Alltagsgegenstände…Motive, die entstanden sind, um den Moment des Erlebens vor dem Vergehen zu bewahren und den Betrachter zu sensibilisieren, auch im hektischen Alltag den Blick für die schönen Dinge zu erhalten.
Wie definierst du Kunst für Dich?
Kunst ist für mich Ausdruck. Die Fähigkeit, Erlebtes, Gesehenes oder Empfundenes in ein Werk zu verwandeln, ist ein spannender Prozess. Den Betrachter damit zu berühren, ihn zur Auseinandersetzung anzuregen, eine Spur zu hinterlassen, die überdauern kann, ist die Herausforderung.
Weiterhin waren folgende Personen in der Ausstellung vertreten:
- Eva Baumgartl
- Nadine Geppert
- Nikolaus Hohn
- Lars Höllerer
- Carmen Indlekofer
- Ellen Kamrad
- Liz Marder-Etspüler
- Fidelis Puchner
- RAINLIGHT Kunstkollektiv
- Schorsch Schömer
- Sonja Siems
- Anna-Amanda Steurer
- Frank Stöckle
Wir danken allen Künstler*innen für Ihre Teilnahme und Unterstützung!