„…die Schweiz in der Westentasche…“

Die Fahrten des LZ 127 „Graf Zeppelin“ in die benachbarte Schweiz

von Barbara Waibel und Sabine Ochaba

Zu den herrlichsten Fahrten, die man mit dem Zeppelin unternehmen konnte, gehörten sicherlich die Ausflüge in die Schweiz, die immer wieder zwischen den längeren Fahrten eingeschoben wurden. Mehr als siebzig Mal besuchte das Luftschiff in den Jahren 1929 bis 1934 das idyllische Alpenland. Die beliebten Touren wurden erst eingestellt, als der Südamerikadienst so ausgedehnt wurde, dass „Graf Zeppelin“ zweimal im Monat nach Brasilien fuhr und ihm somit keine Zeit mehr für andere Fahrten blieb.

LZ 127 vor dem Pilatus

Die Schweizfahrten entwickelten sich schnell zu einem regelrechten Kassenschlager und waren praktisch immer ausgebucht. Da es sich um Tagesfahrten handelte, konnten fast doppelt so viele Passagiere mitfahren, wie bei den mehrtägigen Reisen, und trotzdem war es oft nicht möglich, alle Platzanfragen zu berücksichtigen. Ein Grund für dieses rege Interesse war sicherlich die Tatsache, dass die Fahrten mit einem Preis von 160 Reichsmark vergleichsweise niedrig waren. Doch weit mehr als das war es die unbestreitbare Attraktivität dieser Touren.

Wer wollte nicht den einzigartigen Genuss erleben, in langsamer Fahrt durch die Alpentäler zu gleiten, während die Felswände und Gipfel der schneebedeckten Berge in greifbarer Nähe vorüberzogen? Wer wollte nicht über die kristallklaren Seen dahinschweben und aus geringer Höhe einen Blick auf historische Stätten wie das Rütli oder so schöne Städte wie St. Gallen, Zürich, Luzern, Bern oder Genf werfen? Und das alles in angenehmer Atmosphäre, bequem in einen Sessel gelehnt oder am offenen Fenster stehend.

Die Fahrgäste erlebten hier wahrhaftig einen Geographieunterricht, wie er anschaulicher nicht erteilt werden konnte. Hier hatte man „die Schweiz in der Westentasche“, wie Eckener es einmal ausdrückte.

Luftschiffkapitän Hans von Schiller schrieb im Buch „Im Zeppelin über der Schweiz“:

„Unter uns das satte Grün der Matten, dazwischen hineingestreut die farbenfreudigen Seen, darüber der Wald, nach oben zu sich lichtend, bis über vereinzelten Sträuchern der nackte Fels herrscht. Und weiter hinauf in unberührter Reinheit der ewige Schnee, die Gletscher und Zacken. Fast lautlos gleitet das Schiff dahin in langsamster Fahrt, einmal, zweimal umkreisen wir das Faulhorn, auf dem Jungfraujoch sehen wir die Menschen uns zuwinken, die Hände strecken sich unwillkürlich aus, um die nahen Gletscher zu greifen!“

Die erste Fahrt in die Schweiz mit LZ 127 wurde kurz nach der Rückkehr des „Graf Zeppelin“ von der Weltrundfahrt am 26. September 1929 durchgeführt und gleich an den beiden darauffolgenden Tagen wiederholt. Auf der zweiten Fahrt dieser Art war Ludwig Conrad mit an Bord, der eine Delegation von japanischen Diplomaten und Journalisten von Berlin nach Friedrichshafen begleitet hatte. In seinem Reisebericht „Herbstfahrt im Zepp durch die Schweiz“ schrieb er:

„Eine ungeheure Fülle von Eindrücken. Die ganze Alpenkette von Bregenz westlich bis zum Montblanc fuhren wir entlang. Im Osten winkten uns die Riesen von Graubünden, im Südwesten vor uns Finsteraarhorn, Schreckhorn, Wetterhorn, Eiger, Mönch, Jungfrau, der gewaltige Aletschgletscher, Breithorn, Blümlisalp, unten auf dem Steilhang Mürren, fern im Westen schon das gewaltige, im Sonnenschein glitzernde, schneebedeckte Massiv des Montblanc. Unter uns die blauen Schweizer Seen, denen man bis auf den Grund schauen konnte, an seichten Ufern hell die flachen Badeplätze zeigend. Alles im Sonnenglanz, durchwirkt von weißen Nebelschleiern, die zu zeigen, nicht zu verhüllen schienen.“

Bald schon war eine Route ausgeklügelt, die den Passagieren im Verlauf von acht Stunden die landschaftliche Vielfalt und Schönheit der deutschen und der französischen Schweiz in geradezu perfekter Weise präsentierte, und die Hans von Schiller folgendermaßen beschrieb:

„Von Friedrichshafen aus über den Bodensee, das Rheintal aufwärts über den Walensee nach Zürich, dann Zuger See, über die Hohle Gasse, von der wir feststellten, daß wenigstens heute noch mehr Wege nach Küßnacht führen. Über den Rütli hinweg sehen wir am Urirotstock vorbei in den Urnersee, hinter uns der Mythenstock hat glücklicherweise nicht wie bei Wilhelm Tell eine Haube auf, so daß wir beruhigt von Luzern aus weiter südwärts über den Brünigpaß fahren. Jetzt kommt der Höhepunkt der Fahrt. Vor dem Lauterbrunner Tal wird abgestoppt und langsam zieht hinter der Schynigen Platte die Jungfrau hervor: Blendendweiß leuchten die Gletscher in erhabener Majestät, die ganze Gebirgskette des Berner Oberlandes vom Schreckhorn über Finsteraarhorn, die Jungfraugruppe bis zur Blümlisalp zeigen sich uns unverschleiert!

Über Thun, Bern und Freiburg geht es dann zum Genfer See. Weit hinten überragt der Montblanc die Gebirgskette, Genf wird besucht, dann quer über den See und noch ein Blick ins obere Rhonetal mit seinen ‚Dents‘ und auf die Diablerets!“

LZ 127 über Genf

Einer Theateraufführung vergleichbar blickten die Fahrgäste von ihren Sitzplätzen in der Luftschiffgondel auf die vorbeiziehende Landschaft, wie auf eine ständig wechselnde Kulisse. Jede Fahrt bot neue Eindrücke. Bei Föhnwetter lagen die Berge in makelloser Klarheit vor den Betrachterinnen und Betrachtern, so dass man die einzelnen Gipfel aus weiter Ferne deutlich erkennen konnte. Dann wieder waren die Täler von einem wogenden Nebelmeer verdeckt, und wieder ein anderes Mal umlagerten phantastische Wolkengebilde die Bergspitzen. Selbst weitgereiste und erfahrende Zeppelinfahrer wie der Luftschiffkapitän Hans von Schiller waren immer aufs Neue fasziniert von der landschaftlichen Schönheit dieser Fahrten:

„Trotzdem das Schiff ganze 8 Stunden mit uns in der Schweiz unterwegs war, sind einem diese Stunden infolge des unendlich schnellen Wechsels der Szenerien fast wie Minuten vorgekommen. Welche Fülle von schönen Eindrücken hat man aus der kurzen Reise mit nach Hause nehmen können.“   

Auch kulinarisch waren diese Fahrten etwas Besonderes. Es gab beispielsweise am 20. Juni 1933 als Vorspeise Kraftbrühe mit Mark und Fadennudeln, als Hauptgericht gespickte Rehkeule mit Pfifferlingen, jungem Gemüse, Preiselbeeren und Kopfsalat sowie zum Nachtisch Erdbeeren nach Melba mit Kleingebäck.

Ludwig Conrad, der mit der japanischen Delegation am 27. September 1929 im „Grafen“ in die Schweiz gefahren war, berichtete abschließend in seinem Reisebericht:

„Von Luftkrankheit keine Spur. Doch auf einmal, eine halbe Stunde vor der Landung, ein ziemlich starker Druck in den Ohren, das Gehör wird wesentlich beeinträchtigt, mancher meint, daß er schnell der Taubheit verfalle. Der Grund: wir sind schnell aus hohen Höhen in das Rheintal heruntergegangen, um die Landung vorzubereiten.

Kein Wunder, dass die Reisenden einen Druck auf den Ohren verspürten, denn während der Schweizerfahrten kam das Luftschiff durchaus in Höhen von 2000 Meter und mehr…

Zum Nachkochen:
Rezept der gespickten Rehkeule aus dem Buch „Zu Gast im Zeppelin“ von Barbara Waibel und Renate Kissel:

Zutaten für vier Personen:

Für die Marinade:

  • 1 Flasche guter Rotwein
  • 100 ml Rotweinessig
  • 1 Lorbeerblatt
  • 5 Wacholderbeeren
  • 5 Pimentkörner
  • 5 schwarze Pfefferkörner

Für die Keule:

  • 1 Rehkeule von etwa 1,5 kg Gewicht
  • 100 g Speck
  • 1 Karotte
  • 1 Stück Sellerieknolle
  • 1 Selleriestange
  • 1 kleine Stange Lauch
  • 1 Petersilienwurzel
  • 1 Zwiebel
  • 1 EL Schweineschmalz
  • 2 EL Butter
  • 100 g Speckschwarte
  • Salz
  • Pfeffer
  • 2 Msp. Thymian
  • 2 Msp. Majoran
  • 1/8 l saure Sahne
  • 1/8 l süße Sahne
  • 2 EL Mehl
  • 500 g Pfifferlinge
  • 500 g Erbsenschoten
  • 1-2 EL Butter
  • 1 Zwiebel
  • Preiselbeeren

Zubereitung:

Die Zutaten für die Marinade in eine Schüssel geben und die Rehkeule hineinlegen, zwei Tage an einem kühlen Ort stehen lassen. Hin und wieder wenden. Anschließend die Keule abtropfen lassen und trockentupfen. Die Marinade aufbewahren.

Den Speck in Streifen schneiden und die Rehkeule damit spicken. Das Gemüse waschen, putzen und zerkleinern. Das Schweineschmalz und die Butter in einem Bräter erhitzen und die Keule unter wenden etwa 10 Minuten anbraten. Die Speckschwarte und das Gemüse zufügen und weitere 10 Minuten braten. Mit Salz, Pfeffer, Thymian und Majoran würzen. Die Hälfte der Marinade angießen, den Bräter zudecken und in den auf 220 Grad vorgeheizten Backofen stellen. Etwa eine Stunde brutzeln lassen. Aus dem Backofen nehmen und die Rehkeule warmhalten.

Die Speckschwarte aus dem Sud entfernen. Die süße und die saure Sahne mit dem Mehl vermengen und in den Bratensaft rühren, etwas von der Marinade dazugeben. Unter Rühren einkochen lassen und durch ein Sieb streichen, salzen und pfeffern.  

Die Pfifferlinge und Erbsenschoten sondert in Butter mit kleinen Zwiebelwürfeln anbraten, leicht bräunen, salzen, pfeffern und mit Petersilie bestreuen.

Die Rehkeule tranchieren und auf einer vorgewärmten Platte mit Pfifferlingen, Erbsen und Preiselbeeren anrichten.

Nur etwas Sauce auf die Fleischscheiben geben, ansonsten die Sauce gesondert reichen. Guten Appetit!


Übrigens: Der Zeppelinkalender 2022 thematisiert die Schweizerfahrten des LZ 127 „Graf Zeppelin“ und des LZ 126 mit wunderschönen Fotos, die ihr zum Teil auch hier auf dem Blog findet. Wenige Restexemplare sind noch in unserem Shop für fünf EUR zu erwerben.

Der neue Zeppelinkalender 2023, in dem es um die Fahrten der DELAG-Schiffe gehen wird, ist ab dem 15. August 2022 zum Preis von 32 EUR erhältlich (27 EUR ermäßigt für Mitglieder des Freundeskreises zur Förderung des Zeppelin Museums Friedrichshafen e.V.).


Quellen:

Barbara Waibel, Renate Kissel: Zu Gast im Zeppelin – Reisen und Speisen im Luftschiff Graf Zeppelin, Weingarten 1998

Hans von Schiller: Im Zeppelin über der Schweiz, Zürich 1930

Ludwig Conrad: Herbstfahrt im Zepp durch die Schweiz, Reisebericht, Ort und Erscheinungsdatum unbekannt

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