Tami Oelfken, 1888 in Bremen als Marie Wilhelmine Oelfken geboren, war eine Schriftstellerin und Reformpädagogin. Ihr Vorname „Tami“ ist ein Pseudonym, das sich aus ihrem Spitznamen „Tante Mieze“ ableitet, den sie von ihren Schüler*innen erhalten hatte. Sie hatte auch noch ein anderes Pseudonym: Gina Teelen.
Wer war diese Frau, nach der eine Schule und zwei Straßen benannt wurden?
Oelfken wuchs in Blumenthal bei Bremen auf und war ein verträumtes Kind. In Blumenthal bekam sie die sozialen Umbrüche der Jahrhundertwende und den Wandel ihrer Heimat mit. Blumenthal wuchs mit Bremen zusammen und ist heute ein Stadtteil.
Von Geburt an war sie mit einem Hüftleiden geschlagen, deshalb drängten die Eltern schon früh darauf, dass sie Volksschullehrerin werden sollte, um wirtschaftlich abgesichert zu sein.
Die Volksschulen hatten im deutschen Bürgertum keinen guten Ruf, aber sie waren doch auch Orte der Reform, vor allem in den Großstädten und dort, wo es im ausgehenden 19. Jahrhundert und dem beginnenden 20. Jahrhundert eine organisierte Arbeiterschaft gab – wie etwa in Bremen oder Hamburg. Das Problem war, wie eine Schülerschaft mit wenig Bildungshintergrund erfolgreich unterrichtet werden konnte.
Vor dem Ersten Weltkrieg wurden neue Arten des Anschauungsunterrichts entwickelt, der von den Erlebnissen der Kinder in ihren Lebenswelten ausging. Dabei entstanden zum Beispiel der „Erlebnisaufsatz“ für den Deutschunterricht, Lesebuchreformen, die Nutzung von eigenen Erzählungen der Kinder für das Lernen, neue Formen des Kunstunterrichts oder auch lebensnahe Rechenarten. Schulausbildung und Erziehung sollten „kindorientiert“ sein.
Tami Oelfken lernte ihren Beruf unter diesen Voraussetzungen. Bereits ihre Ausbildung in einem privaten Lehrerinnenseminar war vom Vorrang der „kindlichen Anschauung“ im Unterricht geprägt.
Nach ihrem Examen, das sie 1908 absolvierte, lehrte sie an verschiedenen Volksschulen in der Umgebung von Bremen und Oldenburg. In ihrer Anfangszeit unterrichtete Oelfken Bauern- und Arbeiterkinder.
Noch Jahre nach ihrem Examen, als Tami Oelfken längst viele Jahrzehnte Berufserfahrung als Lehrerin gesammelt hatte, schrieb sie in ihrem „Lebenslauf“ über Träume, in denen ihr jemand die „Diplome aus den Händen riß und alles für einen albernen Irrtum erklärte“.
In der „Bremer Biografie“ schrieb Kurd Schulz über Tami Oelfken: „Ungemein temperamentvoll und begabt, dabei mit ausgesprochener Liebe zu Kindern, war sie eine begeisterte und begeisternde Pädagogin, geriet aber bei ihrer bis zum Rebellischen gehenden Eigenwilligkeit und Ichbezogenheit immer wieder in Konflikte mit (…) der Schulbehörde.“

Während des Ersten Weltkrieges war sie nach Tarmstedt strafversetzt worden. Das Dorf liegt am Rande des Teufelsmoors nahe der Künstlerkolonie Worpswede, wo sie den Maler Heinrich Vogeler kennenlernte.
Vogeler realisierte ein sozialistisches Gemeinschafts- und Erziehungsprojekt, eine kleine radikale Arbeitsschule – den Barkenhoff. Die Schule wurde nach dem Krieg gegründet und basierte auf dem Prinzip der ökologischen Selbstversorgung. Unterricht geschah durch Arbeit in eigenen Werkstätten und die Gemeinschaft sollte erziehen.
Das beeindruckte Tami Oelfken nachhaltig. Mit revolutionären Ideen vertraut geworden, wurde sie Mitglied des Spartakusbundes und nahm als Delegierte an der ersten Revolutionären Rechsschulkonferen 1919 in Berlin teil. Ein Jahr später engagierte sie sich in Gotha im Barrikadenkampf gegen den Kapp-Putsch.
1922 quittierte sie den Staatsdienst und arbeitete als Mitglied des „Bundes der Entschiedenen Schulreformer“ an verschiedenen Privatschulen in Berlin und Dresden.
Eine eigene Schule
Sie erhielt 1928 als erste Frau die Genehmigung, auf Basis der freien Erziehung eine eigene Reformschule zu gründen – die „Tami Oelfken Gemeinschaftsschule“ in Berlin-Lichterfelde. Ihr war eine Elternschule in Seminarform angeschlossen. Für die Schule verwendete sie ihr väterliches Erbe.
Diese Schule wurde hauptsächlich von Kindern Linksintellektueller und Künstler*innen besucht.
In den Jahren 1930 und 1931 schrieb Oelfken zwei innovative Kinderbücher: „Nickelmann erlebt Berlin“ und „Peter kann zaubern“.
1934 wurde die „Tami Oelfken Gemeinschaftsschule“ nach mehreren Hausdurchsuchungen von den Nazis wegen pazifistischer, kommunistischer und judenfreundlicher Tendenzen geschlossen. Oelfken erhielt lebenslanges Berufsverbot.
Oelfkens Odysee
Tami Oelfken versuchte im Exil – zuerst in Paris und Südfrankreich – später in London – ihre Schule wieder zu etablieren. Doch leider reichten ihre finanziellen Mittel dafür nicht aus, so dass sie 1939 wieder nach Deutschland zurückkehrte. In Berlin arbeitete sie als Redakteurin für die Zeitschrift „Mode und Heim“, und wurde mehrmals wegen ihrer politischen Einstellung von der Gestapo vorgeladen. Sie verließ Berlin.
Ihre weiteren Stationen waren Mecklenburg, Straßburg, Tirol, Glottertal und das Markgräflerland. In dem kleinen Ort Badenweiler setzte sie sich mit den dortigen Menschen auseinander, eckte dort aber aufgrund ihrer linken politischen Haltung an. Die politischen Einstellungen der „wilden Kleinbürger des Kurorts“ störten sie. Und auch dort geriet sie ins Visier der Gestapo. Sie hatte zwei Romane geschrieben, die beide verboten wurden, sie selbst wurde mit einem zweiten Berufsverbot belegt und aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen.

Am Bodensee
Sie musste wieder weiterziehen. Zum Glück hatte sie Freunde am Bodensee, die ihr Hilfe anboten. In ihrer Not, krank und ohne Einkünfte, nahm sie deren Hilfe an und lebte ab Ende 1942 in Überlingen. Dort hatte sie Auseinandersetzungen mit dem Dichter und Schriftsteller Bruno Goetz wegen des von den Nazis angeregten “Europäischen Dichterbundes“.
Oelfken war fast fertig mit ihrem Roman „Kuckucksspucke“, als sie die Nachricht erhielt, dass die Gestapo in Breslau bei ihrem Verlag die Restauflage ihres Romans „Persianermütze“, erschienen 1942, beschlagnahmt hatte, ebenso wie ihre Manuskripte und Entwürfe, die noch im Verlag lagen. Da Oelfken ja aus der Reichsschrifttumskammer der Nazis ausgeschlossen war, konnte sie auch nichts mehr publizieren, was sich maßgeblich auf ihre Einkünfte auswirkte. (Der Roman „Kuckucksspucke“ konnte erst 1948 erscheinen.)
Seit Mai 1939 schrieb Tami Oelfken tagebuchartig auf, was ihr in dieser Zeit widerfuhr. Diese Aufzeichnungen erschienen direkt nach dem Krieg im Überlinger Verlag „des auch aus Bremen stammenden Verlegers Werner Wolff“ unter dem Titel: „Fahrt durch das Chaos – Logbuch von Mai 1939 bis Mai 1945“. Im Buch beginnt Oelfkens Bodenseezeit mit folgendem Abschnitt:
„Überlingen! Vor mir breitet sich die glitzernde Fläche des Sees aus. Ein weißer Dampfer liegt festgezurrt im Hafen. Er ist offenbar seit Monaten nicht gefahren. Mir wird das Herz ordentlich weit. Wasser! Wasser! Jetzt weiß ich, was mir all die Zeit gefehlt hat. Es war das Wasser!
Allein das Wasser ist es, was mir wohltut. Es ist ein gleichmütiges und unbekümmertes Rauschen, es ist der Feuchtigkeitsgehalt der Luft, es ist das Vegetative, was der Wasserlandschaft anhaftet. Das alles ist die Nahrung meiner Kindheit.“
Der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Manfred Bosch schrieb in seinem Buch „Bohème am Bodensee“ über Tami Oelfkens „Logbuch“: es sei ein „exemplarischer Beleg für die Gefährdung und Selbstbehauptung einer Frau, aber auch, wie ihr Freund Hans Reisiger schrieb, ein ‘ergreifendes und zugleich dichterisch vollendet schönes Zeugnis‘.“
Ihrem Tagebuch hat Tami Oelfken laut Manfred Bosch „die ganze Zeit über ihren Widerwillen (…) vor der Unfreiheit unter dem Regime der Nazis anvertraut, ihren Haß auf den braunen Ungeist und seine subalternen und dünkelhaften Verbohrtheiten“.
Tami Oelfken bedauerte, dass die Nazis ihr elf Jahre ihres Lebens gestohlen hatten, und hoffte jetzt, nach dem Ende der Diktatur der Nationalsozialisten, dass nun ihre Zeit gekommen sei. Nach 1947 arbeitete sie beim Südwestfunk und ab 1950 schrieb sie Erinnerungsbücher und Novellen. Sie vertrat die Ansicht, man solle auch mit linientreuen DDR-Autor*innen zusammenarbeiten. Dafür wurde sie geächtet und bekam Probleme mit den meisten bundesdeutschen Verlagen, die ihre Arbeiten nicht mehr veröffentlichen wollten.
Neben dem „Logbuch“ erschien in der französisch besetzten Zone lediglich noch der Erzählband „Die Sonnenuhr“. Einmal schrieb sie Freunden: „Daß ich am Bodensee seßhaft bin, ist meinem Wesen nach unstatthaft. (…) Hier ist für jede geistige wirkliche Arbeit kein Klima.“
Zu Lebzeiten wurde Tami Oelfken kaum beachtet, sie galt als „Kommunistin mit gefährlichen pazifistischen Ideen“. erst Manfred Bosch hat sie 2004 mit einer Edition des „Logbuchs“ der heutigen Leserschaft neu zu vermitteln versucht.
Am 7. April 1957 verstarb Tami Oelfken verarmt und vergessen in München, ihr Grab existiert heute noch in Bremen-Blumenthal.
Tipp: Am 26. April um 17.30 Uhr trifft sich wieder unser Buchclub. Gesprochen wird diesmal über Tami Oelfkens „Fahrt durch das Chaos“. Infos und Anmeldung: nikeleit@zeppelin-museum.de
Quellen:
Bosch, Manfred: Bohème am Bodensee, Literarisches Leben am See von 1900 bis 1950, Lengwil 1996
Deutsche Biographie, Tami Oelfken
Oelkers, Jürgen: Reformpädagogik am Bodensee: Anmerkungen zu ihrer Ambivalenz in Sprache und Praxis, Vortrag im Zeppelin Museum, 10. Feb. 2022
Wikipedia, Tami Oelfken