Wie kann ein Museum diverser werden? Was können wir als einzelne und als Organisation dafür tun? Und was bedeutet Diversität überhaupt? Mit einem internen Workshop haben wir den ersten Schritt gemacht. Zwei Teilnehmer*innen haben hier ihre Erfahrungen aufgeschrieben.
Der in uns geprägte Hund
Am ersten Workshop-Tag zeichneten wir alle einen Hund. Es gab große Hunde und kleine Hunde, sitzende und stehende, Hunde von vorn und von der Seite. Und Hunde, die ohne Kontext wahrscheinlich nicht mal als Hunde durchgegangen wären. Es gab diverse Hunde und diverse Perspektiven auf Hunde. Manche Perspektiven fehlten aber komplett. So gab es keinen Hund von oben, keinen Hund mit nur drei Pfoten und auch keinen Hund der miaut.
Wir haben die Hunde gezeichnet, die wir kennen (und vielleicht auch können), die wir oft gesehen haben. Den in uns geprägten Hund.
So wie mit diesen Zeichnungen ist es auch ein bisschen, wenn wir über unser Publikum nachdenken. Als Besucher*innen sind sie zunächst leicht zu erkennen. Aber ob sie aus Friedrichshafen kommen oder aus Berlin, ob sie englisch sprechen, ob sie Kunstwissenschaftler*innen sind oder ausschließlich technikinteressiert, das sehen wir nicht. Aber wir schreiben ihnen sicher direkt irgendwelche Eigenschaften zu, sobald wir sie treffen. Durch dieses Verhalten beeinflussen wir die Personen. Wie wir sie ansprechen, wie wir ihnen begegnen, also welche Signale wir aussenden, hat Einfluss auf sie. Ihre Eigenschaften schreiben wir ihnen aufgrund unserer Erfahrungen und unserer Biografie von außen zu.
Vielleicht konnte ja einer der Hunde doch miauen, aber wir sehen diese Möglichkeit gar nicht, weil wir diesem Hund noch nie so genau zugehört haben.
Bewusst Raum schaffen
Aber Diversität ist eigentlich nichts Neues oder Fremdes. Und der erste Schritt ist, sich bewusst zu machen, dass es uns alle betrifft und nicht nur die anderen. So können wir überhaupt erst einen Raum für Diversität schaffen, um den verschiedenen Perspektiven und Geschichten einen Resonanzraum zu geben.
Unser Blick auf die Besucher*innen, Kolleg*innen und unsere Arbeit ist normalerweise sehr sachlich. Wir arbeiten mit Tabellen, Zielgrößen und Statistiken. Darin finden die einzelnen Biografien wenig Beachtung.
Die Orientierung an Tabellen und bisherigen, vielleicht sogar festgefahrenen Erfahrungen, birgt die Gefahr, dass wir einseitig, monothematisch und immer aus derselben Perspektive agieren und erzählen – dass wir immer nur dieselben Hunde zeichnen.
There is never a single story
Wir müssen uns also bewusst reflektieren und selbst beobachten, wie wir mit- und übereinander sprechen und welche Geschichte wir erzählen. Wir neigen dazu, uns Ähnliches als besser zu bewerten, ob bewusst oder unbewusst. Dadurch blenden wir aber leicht Geschichten und Realitäten aus, die eben eine andere Perspektive einnehmen. Wenn immer dieselben Personen dieselben Geschichten erzählen, bleiben alle anderen auf der Strecke. Und Geschichten schaffen Wirklichkeit, sie sind Projektionsfläche, formen Erwartungen und ermöglichen einen Umgang mit Biografien.
Auch unsere gezeichneten Hunde bestehen nicht nur aus einer Ansicht, wir haben sie nur nicht abgebildet.
Am Ende des Workshops bleiben nicht nur viele Erkenntnisse und Motivation, sondern auch ganz profane Fragen: Wie können wir den jetzt angestoßenen Prozess verstetigen? Wie kommen wir ins konkrete Handeln und wie können Hürden, intern wie extern, überwunden werden?
Dieser Prozess braucht Zeit, ist aber unumgänglich, wenn wir als Museum relevant bleiben wollen. Denn um unseren Auftrag zu erfüllen, müssen wir für alle da sein und ein möglichst breites Angebot bieten. Gelingt das nicht, werden wir auf lange Sicht unser Publikum zu recht verlieren und vor allem kein neues Publikum gewinnen.
Diversität ist aber nicht nur reiner Überlebenszweck, sondern macht auch unsere Arbeit besser. Die Sammlungen, Ausstellungen, Veranstaltungen oder unsere Kommunikation können dadurch gewinnen. Als Museum nehmen wir auch eine Vorbildfunktion in der Gesellschaft ein und haben durch unsere Arbeit Einfluss auf eben jene. Wir können und müssen so Multiplikator für eine diverse Haltung sein.
Damit möglichst viele verschiedene Hunde gezeichnet werden.
von Yannik Scheurer, Digitalisierungsbeauftragter am Zeppelin Museum
Was hat Diversity mit uns zu tun?
Diese Frage schickte die „Change is immer“-AG mit Antje Mayer, Dominik Busch, Ina Neddermeyer und Susanne Nikeleit in die Runde der Museumsmitarbeiter*innen und Guides. Es war die Einladung zu einem Workshop unter dem Motto „Diversity beginnt mit Dir“.
Unter Leitung von Handan Kaymak, einer erfahrenen Organisationsentwicklerin und Prozessbegleiterin mit dem Schwerpunkt Diversity, haben sich gut 20 Interessierte am 12. und 13. Februar 2022 online getroffen, um nachzudenken, zu diskutieren und Handlungsstrategien für ein zeitgemäßes Diversity-Verhalten für sich zu erarbeiten.
Dies ist ein Bericht über diesen Workshop. Er gibt meine subjektive Sichtweise als (angehende) Museumsführerin wieder und erhebt keinerlei Anspruch auf protokollarische Vollständigkeit.
Workshop-Ablauf
Im Wechsel zwischen Plenums- und Gruppenarbeit haben wir uns dem Thema angenähert. Im theoretischen Block ging es um die Kerndimensionen des Diversity-Konzeptes: Alter und Geschlecht, ethnische und soziale Herkunft, sexuelle Orientierung, physische
und psychische Verfassung. In den Arbeitsgruppen konnten wir erproben, was wir zuvor gehört hatten. Für mich waren diese Übungen spannende Selbsttests, die mir gezeigt haben, ob oder wie „diversity-fähig“ ich bereits bin – oder noch nicht. Manche simpel anmutenden Übungen waren alles andere als simpel, z.B. „einen Dialog führen“. Was ja eben in erster Linie bedeutet, zuzuhören! Also nicht einfach drauflosreden, nicht unterbrechen, nicht zwischenfragen, sondern schweigend und aufmerksam verharren, bis das Gegenüber seine Rede beendet hat, um dann erst den roten Faden im Gespräch aufzugreifen.
Überraschend
Ein besonderer Lerneffekt stellte sich für mich bei einem spielerischen, heiteren Experiment ein. Die Seminalleiterin stellte im Plenum verschiedene sehr persönliche Fragen wie z.B.: „Wer unter uns findet keine Schuhe im normalen Schuhgeschäft?“. Die nicht Betroffenen sollten sich auf dem Bildschirm verdecken, die anderen blieben im Bild sichtbar.
Was für eine Überraschung! Mit Personen, bei denen man es nie gedacht hätte, hat man etwas Gemeinsames entdeckt, in dieser Fragestellung eben die sehr großen oder sehr kleinen oder schief gewachsenen o.ä. Füße. Diversität bedeutet also nicht nur Verschiedenheit, sondern auch Gemeinsamkeit. Man kann in jeder noch so heterogenen Gruppe Gemeinsamkeiten finden, man muss es nur wollen. Und dieses Verbindende zu erkennen, der „Similar-to-Me-Effekt“, ist die Basis für einen bewussten, respektvollen und wertschätzenden Umgang miteinander auf Augenhöhe.
Beeindruckend
Berührt hat mich der Talk „The danger of single story“. Die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie erzählt von den Vorurteilen und stereotypen Sichtweisen mit denen die westliche Welt den afrikanischen Menschen und Gesellschaften begegnet. Die Autorin schildert aber auch selbstkritisch, wie sie selbst in dieses klischeehafte Verhalten verfällt.
Es geht hier um das „Narrativ“, die sinnstiftende Erzählung. Sie steuert, wie das Gesagte verstanden wird, und wie es u.U. ganze Weltbilder schafft. Das heißt, die Art und Weise, wie wir etwas erzählen, der Aspekt, auf den wir den Fokus legen, und die Perspektive, die wir einehmen, legen die Wahrnehmung der Zuhörer fest. Der komplexen Realität wird man nur mit „Multiperspektivität“ gerecht. Sie weitet den Blick und zeichnet dadurch ein repräsentativeres Bild von der Wirklichkeit.
Diversity als Zukunftsfaktor
Verschiedenheit ist, wo Menschen sind. Dass wir die Heterogenität in unserer Gesellschaft heute positiv bewerten, ist eine historische Errungenschaft. Die Diversity-Wurzel findet sich in den USA. Dort führten die Antirassismusbewegungen der Black People ab den 1950er Jahren zur „Affirmative Action“ (1961). Es war eine gesetzliche Regelung, die zum ersten Mal in der Geschichte der USA die Diskriminierung aller bis dahin benachteiligten gesellschaftlichen Gruppen verbot. Das Pendant dazu in Deutschland entstand im Jahr 2006 mit dem „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz“. Auf dieser Grundlage können Menschen heute ihre Gleichbehandlung mit Rechtsmitteln durchsetzen
Sei es in Institutionen, zwischen gesellschaftlichen Gruppen mit gleichem oder unterschiedlichem sozialen, psychologischen, kulturellen Hintergrund oder im persönlichen Kontakt, es geht darum, mit den vielfältigen Leistungen und Erfahrungen der vielfältigen Menschen bewusst umzugehen: sie zu erkennen und anzuerkennen, die Chancen zu sehen und die Potenziale zu nutzen. Speziell auf kulturelle Institutionen bezogen, kann Diversität sowohl nach innen als auch nach außen positiv wirken. Es ist eine Investition in die eigene Zukunft, Barrieren abzubauen und somit allen gesellschaftlichen Gruppen die Teilhabe an den kulturellen Angeboten zu ermöglichen.
Positive Codes
Die Guides sehe ich an der Schnittstelle zwischen Museum und Publikum. Im direkten Kontakt mit den Besucher*innen repräsentieren auch sie das Museum und tragen somit einen Teil zu dessen Image bei. Abhängig von den Besuchergruppen – Alter, Zusammensetzung, Interessenslage etc. – steht den Guides für ihre Führung ein Repertoire von unterschiedlichen Formaten zur Verfügung: Entertainment, Dialog, Diskussion oder auch eine Kombination. Für mich sind die beiden Begriffe zentral, die ich zuvor mit den Beispielen veranschaulicht habe: Narrativ und Multiperspektivität. D.h. unterschiedliche Blickwinkel einnehmen, verschiedene Facetten aufzeigen, historische und gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge herstellen, verschiedene Erzählungen anbieten, wertfrei schildern. Ich verstehe eine Führung als Einladung an die Besucher*innen, mehr zu erfahren über das, wofür sie sich interessieren, und sich schließlich selbst ein Bild zu machen.
Für eine Führung durch die Zeppelingeschichte finde ich diesen Ansatz besonders hilfreich, um der Ambivalenz dieser Ära und der damit verbundenen Friedrichshafener Geschichte gerecht zu werden. Auch das ist Diversity praktizieren, sowohl mit Blick auf die Besucher*innen, als auch auf die Ausstellungsinhalte.

Resumée
Mein Eindruck ist, dass wir während der beiden intensiven und anregenden Tage manche Antworten gefunden haben – aber auch manche Fragen, zu denen ich gerne im Austausch bleiben würde.
Und der Workshop-Titel ist für mich absolut plausibel: „Diversity beginnt mit mir.“
von Karin Brugger, selbständiger Guide für das Zeppelin Museum