Wie Zeppelingas die Abholzung brasilianischer Wälder verhinderte und das Verbraucherverhalten von Millionen von Brasilianern änderte!

1972 titelte die brasilianische Illustrierte „Manchete“: „Das Gas hat die brasilianischen Wälder gerettet“ und im Untertitel heißt es dann: „Mit dem Kauf der Gasvorräte des Zeppelin schlug die Geburtsstunde des Imperiums der Igel“.

Zum portugiesischen Artikel:

Como o gás do Zeppelin evitou o desmatamento das florestas brasileiras e mudou o comportamento de milhões de consumidores brasileiros!

Brasilien hatte in den 1930er Jahren ca. 40 Millionen Einwohner, die vorwiegend mit Holz und Holzkohle kochten und heizten. Nur in den Innenstädten der großen Metropolen Rio de Janeiro und São Paulo und etwas später Recife war ein Anschluss an die Gasleitungen der Gasanstalt möglich. Mit der wachsenden Bevölkerung nahm die Abholzung der Wälder immer mehr zu. Ernst Igel kaufte von der Zeppelin-Reederei die Gasvorräte und begann mit der dezentralen Lieferung von Gas in Flaschen an die Bevölkerung außerhalb dieser drei Innenstädte.

Im Buch zum 50jährigen Jubiläum der Firma Ultragaz sieht man den Zeppelin auf dem Landplatz in Jiquiá, Pernambuco gleich am Anfang noch vor dem Firmengründer Ernesto Igel und dem Firmenfahrzeug. Zu diesem Zeitpunkt war die von ihm gegründete Firma Ultragaz zur größten Firma für Gas in Flaschen auf der ganzen Welt angewachsen.

Abbildungen aus dem Buch zum 50-jährigen Firmenjubiläum. Foto: Acervo do Centro de Documentação e Memória Ultra

Firmengründer Ernst Igel kauft die Gasvorräte der Zeppelin-Reederei

Wie kam Ernesto Igel dazu? Mit Sicherheit war er eine Unternehmerpersönlichkeit, die die Chance erkannte. Am 22. August 1920 kam Ernst Igel, aus seiner Heimatstadt Wien kommend, in Rio de Janeiro an. Er war von einer österreichischen Firma für Export und Import beauftragt worden, sich um eine Klavierlieferung zu kümmern. Er blieb im Land und baute bald danach eine eigene Import-Export-Firma auf. In der Folge begann er sich insbesondere auf den Import von Artikeln aus Deutschland für Bad und Küche zu spezialisieren, insbesondere auf Gas-Badeöfen und Gas-Herde.

Briefkopf der Import-Export-Firma von Ernesto Igel. Foto: Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau

Für die Geschäftspost, wie auch für seine eigenen Reisen, nutze Ernesto Igel gerne das Luftschiff, das damals schnellste Verkehrsmittel zwischen Brasilien und Deutschland. Nachweisbar war er 1934 Passagier des LZ 127, aber auch schon 1931, wie er sehr anschaulich in einem Brief an seine Frau beschreibt.

Dieser Brief wurde in der „Deutschen Zeitung“ am 9. Dezember 1931 veröffentlicht:

„Unter den Passagieren des „Graf Zeppelin“ auf seiner letzten diesjährigen Reise von Recife nach Friedrichshafen befand sich Herr Igel aus Rio de Janeiro, dessen Gattin uns in liebenswürdigster Weise den nachfolgenden Brief zur Verfügung stellt, in dem die Einzelheiten der Reise festgehalten sind:

,So gut ich im Stande bin, will ich im Nachfolgenden die Reise im Zeppelin von Pernambuco nach Friedrichshafen schildern. Und ich will recht ausführlich sein, denn schließlich bin ich, wie wir an Bord zusammen mit den Offizieren feststellen konnten, der 198. Mensch, der als Passagier bis heute in einem Luftfahrtzeug, gleichgültig welcher Art, über den Ozean befördert wurde. Dabei ist alles mitgerechnet, sämtliche Reisen des Zeppelins, Do-X, R 100, usf., sodass also eine solche Reise gewiss nichts Alltägliches ist und verdient, für unsere Kinder festgehalten zu werden. Ich kam am 20. Oktober in Recife an, am gleichen Tage, an dem der Zeppelin abends um 19 Uhr von Europa auf die Minute pünktlich eintraf. Es war ein wunderbarer Anblick, das große Luftschiff langsam über das Wasser ankommen zu sehen. Über der Stadt stellte es die Motoren ab und ließ die Scheinwerfer spielen. Ruhig, majestätisch und hell erleuchtet lag der Koloss zum Greifen nahe in der Luft, ein Anblick, bei dem man bald verrückt wird vor Begeisterung. Der Jubel der Bevölkerung war ungeheuer, trotzdem der Zeppelin in Recife nun fast schon zum Alltäglichen gehört. Man ist dort außerordentlich stolz auf das Schiff und unterstützt die Bestrebungen soviel man nur kann. (…)

Schon vor Ankunft des Zeppelins hatte ich Unterhandlungen mit dem Vertreter der HAPAG, welche die Auslandsreisen des Zeppelins organisiert, gepflogen. Es wurde mir mitgeteilt, dass der Zeppelin mit 17 Passagieren eintreffe, von denen 9 wieder mit zurückreisen würden und dass außer mir nur noch Herr Konsul Uebele als Passagier mitreise. Hinsichtlich meiner Passage müsste man erst mit dem Schiffskommando sprechen. Ich wurde für tags nach der Ankunft des Luftschiffes bestellt. Tatsächlich wurde ich am folgenden Tage Kapitän Lehmann vorgestellt, der bereits im Bilde und einverstanden war, mich mitzunehmen, wenn Ladung, Wind und Luft es gestatteten, was er erst am Tage der Abfahrt sagen könne. Ich solle an diesem Tage anrufen und mir definitiven Bescheid holen. Gegen 11 Uhr am 24. Oktober erhielt ich Nachricht, ich könne mitreisen, dürfe aber nur 10 kg Gepäck mitnehmen. Ich organisierte das Nötigste in einem kleinen Köfferchen und einem Wäschesack und gab das übrige Gepäck mit der „Gelria“ auf.‘“

Werbepostkarte für Junkers-Badeöfen mit Stempel der Firma Igel, transportiert mit Luftschiff „Graf Zeppelin“. Foto: Archiv Schneide

1931 unternahm das Luftschiff „Graf Zeppelin“ „nur“ drei Erprobungsfahrten nach Brasilien und wieder zurück. Man war mit den klimatischen tropischen Bedingungen noch nicht ganz vertraut. Die Beschreibung Ernst Igels zeigt hier sehr gut den Erprobungscharakter dieser ersten Fahrten.

Gang durchs Schiff

„Am 25. Oktober, also am nächsten Morgen um 7 Uhr, passieren wir Kap Verde. (…) Herr v. Schiller erbietet sich, mir die Führergondel und das Schiffsinnere zu zeigen. (…)

Im Schiffsinnern sieht man ganz oben die vielen roten Ballons mit Wasserstoff, die das Schiff tragen. Darunter sind viele weiße Ballons. Sie enthalten Blaugas, womit die Motoren gespeist werden. Man nimmt lieber Blaugas als Benzin, weil Benzin bei einem Verbrauch von 500 kg je Stunde Fahrtzeit das Schiff um eine halbe Tonne leichter macht, was schwer zu regulieren ist. Blaugas, speziell für den Zeppelin erfunden, hat diesen Nachteil nicht, weil es ebenso schwer wie die Luft ist und leere Ballons also genau soviel wiegen wie volle, weil nach der Gasentleerung Luft hinein kommt.“

Das Luftschiff „Graf Zeppelin“ benötigte für eine transatlantische Fahrt 360  Flaschen Propan/Butan-Gas. Diese wurden zuvor von Deutschland per Dampfer an die Luftschiffhäfen in Brasilien geliefert. Da sowohl der Transport, als auch insbesondere die Erledigung der bürokratischen Hindernisse für die zollfreie Einfuhr viel Zeit in Anspruch nahm, lagerten immer eine große Menge an Gasflaschen in den brasilianischen Luftschiffhäfen. Im Brief vom 16. September 1936 an die Luftschiff-Reederei schildert Syndicato Condor die Probleme bei der Einfuhr und Ausfuhr der Gasflaschen und führt ein Bestandbuch auf. So lagerten im Juni 1936 2.789 Gasflaschen in Rio und 1.379 Gasflaschen in Recife. Für die verbleibenden sieben Fahrten des Jahres wurde ein Bedarf von siebenmal 360 Flaschen, also 2.520 Flaschen kalkuliert, sodass also die Vorräte ausreichten.

Nach dem Unglück in Lakehurst wurde auch der Luftschiffverkehr nach Brasilien eingestellt. Die allerletzte transatlantische Fahrt eines Zeppelins war also die Fahrt des „Graf Zeppelin“ von Recife nach Friedrichshafen vom 4. bis 8. Mai 1937. Die Vorräte an Propan/ Butan in den Luftschiffhäfen Jiquiá bei Recife und Santa Cruz bei Rio de Janeiro wurden nun nicht mehr benötigt. Ernst Igel erkannte hier die Möglichkeit ein neues Geschäftsfeld zu begründen und wandte sich über Baron von Steinheil und die Firma Syndicato Condor LTDA an Zeppelin-Reederei mit dem Wunsch, die Vorräte zu erwerben.

Brief an die Zeppelin-Reederei vom 19. August 1937. Foto: Archiv der Luftschiffbau Zeppelin GmbH

Das Geschäft kam zustande. Ernst Igel gründete mit mehreren Mitaktionären 1938 die ULTARGAZ Aktiengesellschaft zur Lieferung von Gasflaschen an Haushalte. Während der Übergangszeit durfte das Gas weiterhin in Santa Cruz gelagert werden.

In der Folge stellten immer mehr Haushalte auch außerhalb der großen Zentren auf das Kochen mit Gas um. Strom zum Kochen stand fast nirgends zur Verfügung, aber die Gasflaschen erreichten die entlegensten Orte mit dem Ochsenkarren auf widrigsten Feldwegen.

Und noch heute kochen über 90 % aller Haushalte in Brasilien mit Gas.

Gasflaschenlager am Luftschiffhafen Jiquiá. Foto: Archiv der Luftschiffbau Zeppelin GmbH
Transport von Gasflaschen der Firma ULTRAGAZ auch in die entlegensten Gebiete. Foto: Acervo do Centro de Documentação e Memoria ULTRA

Autor: Sylk Schneider ist Museumsentwickler, Kurator von inzwischen 40 Museumsausstellungen (Stand 2021), und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Zeppelin und den deutsch-brasilianischen Beziehungen.

Der Artikel ist bereits im Zeppelinbrief Nr. 78 vom Freundeskreis zur Förderung des Zeppelin Museums e. V. erschienen.

2 Antworten auf „Wie Zeppelingas die Abholzung brasilianischer Wälder verhinderte und das Verbraucherverhalten von Millionen von Brasilianern änderte!“

  1. Das war ein sehr spannender Gastartikel. Gerade in Zeiten von Nachhaltigkeit und Klimschutz wirft der Bericht von damals ein neues Licht auf das Thema. Ernesto Igel hat jedenfalls bewiesen, dass sich Klimaschutz und Geschäftsinn durchaus klug miteinander vereinen lassen. Vielleicht eine Blaupause für unsere neue Bundesregierung. 😉

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