Gertraud Herzger von Harlessem – Künstlerin und Künstlergattin (1908 – 1989)
Gertraud Herzger-von Harlessem wäre vielleicht eine bekannte Künstlerin der Klassischen Moderne geworden. Aber ihr Ehemann, der Künstler Walter Herzger, war dagegen, dass sie sich künstlerisch betätigte. Deshalb malte sie heimlich, wenn er nicht da war.
Dabei hatte die gebürtige Bremerin die besten Voraussetzungen für ein Leben als Künstlerin.
Gertraud wurde 1908 geboren. Sie entstammte der wohlhabenden Kaufmannsfamilie von Harlessem, die mit Tabak handelte. Schon als Kind malte sie leidenschaftlich gern. Nach ihrem Abitur im Jahr 1928 entschloss sich Gertraud von Harlessem, Künstlerin zu werden. Die Eltern unterstützten ihren Berufswunsch. Auf der Berliner Kunstakademie wurde sie nicht angenommen, weil ihre Kunst „zu kindlich“ sei, wie sie in einem Interview mit der Kunsthistorikerin Andrea Hofmann aus dem Jahr 1988 berichtete. Daher ging sie zunächst in ein Studienatelier, wo sie Akt- und Portraitzeichnen lernte, was sie aber als langweilig empfand.
Ab 1930 besuchte sie die in Berlin neu gegründete Schule von Johannes Itten. Beim Bauhaus-Künstler Itten lernte von Harlessem, in ihren Bildern Dynamik und Hell-Dunkel-Kontraste zu entwickeln. Doch bot ihr die Johannes-Itten-Schule zu wenig Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten.
Gertraud Herzger von Harlessem:
„Ich fand es erst sehr interessant, alle Kurse wurden von Itten selber geleitet. Man mußte auch dieses und jenes zeichnen, aber nicht so penetrant abzeichnen (…). Aber auch Itten hatte seine Eigenarten, wir mußten hell und dunkel ganz genau trennen. Das habe ich auch gemacht, bis ich überhaupt nicht mehr malen konnte, weil ich immer dachte, jetzt muß ich das hell malen und das muß ich dunkel malen.“
Anderthalb Jahre blieb sie bei Itten, dann wechselte sie nach Halle an der Saale auf die Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein. Hier war sie Schülerin des Malers Erwin Hahs und genoss die freie und ungezwungene Arbeitsweise.
„Dort gab es Webereien, zwei Malwerkstätten, eine Schreinerei, man konnte alles mitmachen. (…) Ich bin viel in die Druckerei gegangen, ich durfte dort für Holzschnitt und später für Radierungen die Presse benutzen.“
Auf Burg Giebichenstein entstanden expressive Werke, aber auch Impressionen. Außerdem malte sie düstere, fast surreal wirkende Szenen.
Ab 1931 wurde in den Farbholzschnitten von Harlessems Experimentierwille am deutlichsten. Sie verstand es, Holzschnitt- und Maltechnik zu verbinden, und, obwohl sie von einer Platte druckte, subtile malerische Wirkung zu erzeugen.
Auf Burg Giebichenstein lernte sie auch ihren späteren Ehemann Walter Herzger kennen, der dort Lehrer und Leiter der Graphischen Werkstatt war.
“Mein Mann war von Anfang an nicht begeistert davon, daß ich auch malte. Erst war es natürlich nicht so. Er kam immer abends zu mir und fragte: ‚Hast du wieder ein schönes Bild gemacht?‘ Da habe ich mir noch nichts dabei gedacht, habe ich noch gar nichts gemerkt. Das kam dann erst später.“

Von Harlessem kehrte 1933, nachdem die Nationalsozialisten alle progressiven Schulen geschlossen hatten, wieder zu ihren Eltern zurück, die inzwischen in Dresden lebten. Sie hatten durch die Weltwirtschaftskrise ihr Vermögen verloren und konnten die Tochter kaum noch finanziell unterstützen.
„Ich bekam von zu Hause noch ein bißchen Geld, außerdem hatte ich eine Tante, die ziemlich vermögend war, die mich ebenfalls unterstützte. Ich habe auch manchmal etwas verkauft, aber nur Kleinigkeiten. (…) Ich habe da auch zwei Ausstellungen gemacht bei Privatleuten.“
Von Harlessem zog nach Bremen zu ihrer Tante und arbeitete dort ab 1934 in der Kunstgalerie in der Böttcherstraße:
„In der Galerie war oben die große Modersohn-Sammlung, und unten waren drei Säle für Wechselausstellungen, die ich betreut habe. Es waren sehr viele Künstler der Gegend, die da ausstellten.“
Vor der Ehe fuhren Gertraud und Walter an den Bodensee und nach Italien. Sie lebten von ihrem Ersparten und genossen das dolce vita.
„Italien war ganz fabelhaft! Wir waren in Rom und Florenz, aber vor allem in Palinuro in Süditalien und schließlich waren wir auch noch in Ischia. Dann kam der Krieg, da war’s dann Essig. Mit dem Malen ist es für mich schwierig geworden, seit wir zusammenlebten. In Italien habe ich meine Sachen schon immer versteckt. Mein Mann sah es nicht gerne, daß ich malte. (…) Aber ich habe nicht aufgehört! Ich habe dann heimlich gemalt.“
Einige Monate nach Kriegsbeginn heiratete sie Walter Herzger. Bald entstand zwischen ihnen eine Art offene Konkurrenz, die Gertraud von Harlessem immer stärker dazu zwang, im Geheimen zu arbeiten.
„Wie dann unsere Tochter geboren war – es war eine schreckliche Nacht, da fielen die Bomben, die Kinder waren alle im Luftschutzkeller, die Frauen blieben oben in der Klinik, kam am nächsten Morgen mein Mann und guckte sich die Kleine an. Und dann sagte er: ‚Aber jetzt brauchst du doch nicht mehr malen, jetzt hast du ja Sabine.‘ Das war das erste, was er sagte, als er die Tochter sah! Das war sehr schlimm, da war ich sehr entsetzt. Mir war das bis dahin nicht ganz klar gewesen, daß er so dachte… Ich habe es zwar nicht akzeptiert, aber ich habe auch nicht offen revoltiert dagegen, ich habe mich bloß geärgert.“
Dies hielt Gertraud Herzger von Harlessem jedoch nicht davon ab, als Künstlerin tätig zu sein, und im Verborgenen entstanden kleinformatige, oft unvollendete Werke. Sie bevorzugte Farbstifte, Pastell- und Wachskreide, da der Geruch von Ölfarbe sie verraten hätte.
Während des Zweiten Weltkriegs zog sie sich an den Bodensee auf die Höri zurück, da Bremen immer wieder bombardiert wurde. Ihr Mann wurde zum Kriegsdienst eingezogen.
Nach dem Krieg kam Walter Herzger 1946 aus der Kriegsgefangenschaft zurück und die kleine Familie nagte regelrecht am Hungertuch. Herzger hatte die Gelegenheit, als Zeichenlehrer zu arbeiten, aber diese Arbeit befriedigte ihn nicht, und er hörte schon kurze Zeit später auf, in der Schloßschule Gaienhofen zu arbeiten.
Gertraud Herzger von Harlessem übernahm nun die Aufgabe, für den Familienunterhalt zu sorgen. Sie arbeitete von 1950 bis 1957 Akkord in der Nähmaschinenfabrik Bernina im schweizerischen Steckborn. Dadurch ermöglichte sie es ihrem Mann, künstlerisch tätig zu sein. Dieser war jedoch nicht einmal dankbar und äußerte gegenüber einem Freund, als Gertraud krank war und nicht arbeiten konnte:
„Meine Frau hatte als Fabrikarbeiterin in der Schweiz zu arbeiten angefangen, um uns vor dem Verhungern zu retten, aber leider ist sie nach acht Tagen so schwer erkrankt, daß sie auf Monate nicht daran denken kann, diese Rettungsmaßnahme fortzusetzen. Ich kann unter diesen Umständen nicht weiterarbeiten, sondern versuche auf alle mögliche Art, uns notdürftig über Wasser zu halten – ob’s mir gelingt, weiß ich noch nicht. Schade um mein Talent, das so verkommen muss, aber unter den Bedingungen, unter denen wir nun schon seit Jahren leben müssen, geht alle Schaffenskraft zum Teufel.“
Bei der Firma Bernina lernte Gertraud Herzger von Harlessem die Künstlerin Grete Kindermann, die Frau des Bildhauers Hans Kindermann, kennen. Die Arbeit war anstrengend und gefährlich, erinnert sich Getraud:
„Ich arbeitete an einem Schleifband. Man mußte furchtbar aufpassen, daß man sich die Hände nicht abschliff. Bis ich das konnte, das hat erst einmal eine Zeitlang gedauert. Das hat mich doch etwas mitgenommen. Aber ich hab’s gut überstanden – es hat sogar manchmal Spaß gemacht. Da waren noch verschiedene Deutsche, außerdem Italiener und Schweizer. Auch eine Freundin von mir war dort, die war Sängerin. Wenn wir in der Pause an den See gingen, dann sang sie was aus ‚Carmen‘ oder von Verdi. Was haben wir uns da amüsiert!“
Als ihr Mann 1959 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe eine Professur für Zeichnen erhielt, entspannte sich die finanzielle Lage der Familie.
Das künstlerische Leben Getraud Herzgers war von Brüchen durchzogen. Sie erzählt:
„Gemalt habe ich am meisten in den 30er Jahren und bis zum Kriegsende: in Italien und dann nachher auf der Höri – da war ich ja auch alleine. (…) In Hemmenhofen war das ganz unmöglich. Erst war da die ganze Arbeit mit Ährenlesen, Kartoffeln suchen, damit eben was da war für den Kochtopf. Und dann, dann kam die Fabrik. Außerdem habe ich Spanschachteln bemalt, um damit Geld zu verdienen. Ich habe viele gemacht und fast alle verkauft. Wenn Leute zu Besuch kamen, dann hat mein Mann ihnen immer nur die Schachteln gezeigt. Das hat mich schon geärgert. Später waren dann hier im Dorf zwei Ausstellungen, da habe ich meine Bilder ausgestellt. Aber das habe ich meinem Mann nicht gesagt. Ich wollte ihn ja nicht ärgern, weil er schon sehr krank war. Er hätte das nie akzeptiert. Aber ich dachte mir, das mache ich jetzt trotzdem mit. (…) Erst seit einiger Zeit male ich wieder regelmäßig. Ich wäre schon anders vorangekommen, wenn die Unterbrechung nicht so lange gewesen wäre. Und jetzt, jetzt bin ich achtzig, und das alles nachzuholen, das ist schon schwierig…“
1985, nach dem Tod ihres Mannes, begann für von Harlessem eine weitere kurze, intensive künstlerische Schaffensperiode, die bis zu ihrem Tod 1989 andauerte. Schade um ihr Talent!
Quellen:
Eigenwillig. Künstlerinnen am Bodensee 1900 – 1950“, Städtische Wessenberg-Galerie, Konstanz 2005
Andrea Hofmann. Künstler auf der Höri, Friedrich Bahn Verlag Konstanz 1989
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