„Die Impfstube“ oder: Was hat die Corona-Impfung mit Kühen zu tun?

In Friedrichshafen gibt es seit kurzem ein Corona-Impfzentrum und mehr als ein Viertel unserer Belegschaft hat sich freiwillig gemeldet, um dort zu helfen. Dieser Umstand führt uns wieder ins Zeppelin Museum zurück:

Wir haben nämlich in unserer Sammlung ein Gemälde von Reinhard Sebastian Zimmermann, das eine Impfstube aus der Mitte des 19. Jahrhunderts zeigt.

Für den Kunsthistoriker und damaligen Direktor des Städtischen Bodensee-Museums, Dr. Lutz Tittel, stellt „Die Impfstube“ ein Propagandabild der damaligen Zeit dar. Er ordnet es als eines der zentralen Werke des Künstlers ein, der sich in erster Linie als Portraitmaler einen Namen gemacht hat.

„Die Impfstube“ zeigt einen Innenraum, der wie eine Bühne wirkt, auf der verschiedene Personen und Personengruppen agieren. Durch Licht werden die zentralen Figuren hervorgehoben. Im Zentrum stehen Mütter und ihre Kinder. Aufgrund ihrer Kleidung können sie sowohl dem ländlichen-bäuerlichen als auch dem bürgerlichen Milieu zugeordnet werden und verkörpern somit die „normale Bevölkerung“. Ersatzkleidung und Nahrungsmittel in Tragkörben deuten darauf hin, dass v. a. die Bäuerinnen weite Wege zurückgelegt haben müssen, um zur Impfstube zu gelangen.

Links im Bild sind drei Männer zu sehen, die laut Lutz Tittel das Bild erst enträtseln: Der ältere Herr ist offensichtlich ein Arzt, der gerade ein Kind impft. Hinter seinem Rücken sitzt ein junger Mann, der in der rechten eine Feder und in der linken erhobenen Hand ein Blatt Papier hält und eine Liste führt. Am Fenster stehend liest hinter diesen beiden Männern ein uniformierter Polizist in einer Zeitung oder ähnlichem. Tittel interpretiert:

„Die Bedeutung der Impfaktion wird dadurch hervorgehoben, daß sie von der Staatsmacht (der Polizist) kontrolliert wird und Listen über ihre Durchführung angelegt werden. Kulturhistorischer Hintergrund dieses Bildes ist zweifellos die Einführung des Impfzwangs gegen die Pocken (Blattern).“

Die Pocken haben damals die Menschen heimgesucht so wie uns heutzutage die Corona-Pandemie. Auch damals gab es Impfgegner, die mit Protestaktionen, Flugblättern und anderen Publikationen gegen die Impfung vorgingen. Es gab sogar Mediziner unter den Impfgegnern. Ein Großteil der Proteste war aber religiös motiviert, denn viele Menschen hielten das Impfen für ein Eingreifen in Gottes Schöpfung. Schließlich seien die Pocken ja auch ein Teil der Schöpfung und hätten durchaus ihren Sinn, auch wenn dieser für die Menschen nicht unbedingt erkennbar sei.

Ein Freund Zimmermanns aus dessen Heimatgemeinde Hagnau am Bodensee, der Pfarrer Dr. Hansjakob, war ein erklärter und streitbarer Impfgegner.

Ganz im Gegensatz zu Reinhard Sebastian Zimmermann. Sein Gemälde zeigt, dass er eindeutig ein Impfbefürworter gewesen ist. Sonst hätte er womöglich tumultartige Szenen gemalt. Ein Grund dafür könnte sein, dass seine einjährige Tochter an Keuchhusten gestorben war und er vielleicht deshalb der Ansicht war, dass eine Impfung Kindern einen besonderen Schutz bot.

Und was hat die Corona-Impfung denn nun mit Kühen zu tun?

Es hat etwas mit der Geschichte des Wortes „Impfung“ zu tun. Diese geht zurück auf den englischen Arzt Edward Jenner und die erste Pockenschutzimpfung. Jenner hatte 1796 als erster Arzt den achtjährigen, gesunden James Phipps mit Kuhpockenviren geimpft. Die Idee dazu hatte Jenner deshalb, weil in seiner Heimatgrafschaft Gloucestershire die Ansicht verbreitet war, dass jemand, der an Kuhpocken erkrankt war, niemals mehr die (Menschen-)Pocken bekommen könne.

Einige Zeit später impfte Jenner dem kleinen James die richtigen Pocken ein und der Junge blieb gesund. Der Arzt wiederholte das Experiment und jedes Mal kam er zum selben Ergebnis, so dass James Phipps als immun gegen Pocken galt.

Jenner nannte diesen Impfvorgang „vaccination“, abgeleitet von lat. „vacca“ = die Kuh, denn geimpft wurde anfänglich nur mit dem Kuhpockenvirus.

Nachdem der Arzt 1798 seine Ergebnisse veröffentlicht hatte, keimte in ganz Europa die Hoffnung auf, dass ein Mittel gegen die Pocken gefunden worden sei. Inzwischen sind die Pocken weltweit nahezu ausgestorben.

Wenn sich nun genügend Menschen mit den neuen Vakzinen gegen das Corona-Virus impfen lassen, werden wir hoffentlich bald die erwünschte Herdenimmunität erworben und damit die Pandemie überwunden haben.

Quelle: Lutz Tittel: „Die Impfstube“ von Reinhard Sebastian Zimmermann – Ein „Propagandabild“ des 19. Jahrhunderts, ersch. in: R. S. Zimmermann – Kunst am See, Verlag Robert Gessler Friedrichshafen, 1986

 

 

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