„Wir haben noch eine Minute.“
Dominik Busch, Initiator und Moderator der Online Assembly
und Leiter der Abteilung Diskurs und Öffentlichkeit
29.01.2021
BEYOND BORDERS war die erste reine Online Assembly des Zeppelin Museums und unsere erste sechsstündige Online-Tagung, die an unsere neue Ausstellung BEYOND STATES. ÜBER DIE GRENZEN VON STAATLICHKEIT gebunden war. Sechs Stunden, die Grenzen im Kopf aufbrachen, verschoben oder erst sichtbar machten.
Die Ausstellung selbst reflektiert in fünf Kapiteln Staat und Grenzen, Staat und Nation, Staatliche Souveränität und Staatsversagen, Staatsgewalt und Staatssymbole, Staatsbürgerschaft und Staatenlosigkeit und wurde am 04. Februar um 18 Uhr digital auf www.debatorial.de, Facebook und YouTube eröffnet.
Für die Online Assembly BEYOND BORDERS hoben wir die Themen Grenzen und Staatsbürgerschaft hervor, um diese aus wissenschaftlicher und künstlerischer Sicht zu vertiefen.
Der Ablauf der Tagung im digitalen Raum orientierte sich an einem strikten Zeitplan; wie bei einer Fernsehsendung folgte die Tagung einem Sendeablauf mit getimten Moderationen. Da kein gemeinsamer Ort die Rahmung war, brauchte es diesen Zeitplan umso mehr, um alle Akteur*innen an diesem Tag über einen Zoom-Call miteinander zu verbinden.
Bei der Durchführung der online-Veranstaltung gab es für uns viele Momente, in denen wir auf die Uhr schauten und die Zeit ansagten. Laut oder in Gedanken. Es gab die eine Minute bis zum Beginn, die eine Minute bis zum Übergang, die eine Minute bis wir gespannt auf unsere Laptops schauten.
Wir saßen vor Laptops in der Ausstellungshalle, in der wir Kameras aufgebaut hatten, um aus der physischen Ausstellung zu senden. Auf die Endgeräte, vor denen die eingeladenen Wissenschaftler*innen und Künstler saßen, hatten wir keinen Zugriff. Eine solche Live-Übertragung ist daher auch immer eine Kontrollabgabe, was Ton- und Bildqualität betrifft und ein Vertrauen auf stabile Internetverbindungen. Und ohne präzise Vorabplanung und eine gezielte Gäst*innenauswahl undenkbar.
Um 10:02 begrüßte Dominik Busch das Publikum mit den Fragen des Tages Wie könnte der Staat der Zukunft aussehen? Wie könnten Grenzen anders definiert werden, wenn nicht aus geopolitischer Perspektive? Und wie zeitgemäß ist eigentlich noch das Konzept der Staatsbürgerschaft? und mit dem Hinweis, dass das Publikum mit seinen Fragen und Kommentaren live durch die Chatfunktion der Plattformen (debatorial, Facebook, YouTube) oder via Email (debatorial@zeppelin-museum.de) Teil der Tagung sein kann, in dem wir die gestellten Fragen an die Expert*innen weiterleiten.
Unsere Direktorin Dr. Claudia Emmert machte in ihrer Begrüßung deutlich wie relevant und lebensnah die Themen sind: „Heute geht es um Grenzen, deren Definition und Bedeutung aktuell sehr kontrovers diskutiert werden. Denn Grenzen können ihre Bedeutung auch schnell ändern, wie wir in der Corona-Krise sehen konnten, sie können je nach politischer Lage offen sein oder blitzschnell geschlossen werden, sie können schützen oder schutzlos außen vorlassen, indem sie ein- oder aussperren. Sie umschließen Nationalstaaten oder supranationale Zusammenschlüsse, sie sollen Identitäten territorial fassen oder Solidaritäten grenzübergreifend sichtbar machen.“
Die wissenschaftliche Bühne für den Fachbereich Border Studies wurde ab 10:15 Uhr eröffnet.
„Die Border Studies untersuchen auf interdisziplinäre Weise den Begriff der Grenze und des Grenzraums. Grenzen sind dabei nicht nur als politisch-territoriales Instrument zu sehen, sondern unmittelbar an Debatten um kulturelle Identität, Transnationalismus oder Migration angeschlossen.“ führte Dominik Busch ein.
Unter dem Titel GRENZEN DER ZUKUNFT wurden Formen grenzübergreifender Zusammenarbeit und alternative Grenzziehungskonzepte vorgestellt. Mit 20-minütigen Einzelvorträgen starteten Dr. Katarzyna Stoklosa (University of Southern Denmark), Dr. Peter Ulrich (Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung/ Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg) und Dr. Götz Hermann (Universität Paderborn) ins Panel, um später gemeinsam zu diskutieren. Moderiert wurde die Runde von Dr. Beate Caesar (Technische Universität Kaiserslautern).
Es wurde u.a. die Frage behandelt, ob ein Europa ohne Grenzen aufgrund eines Jahrzehnts voller Krisen aufgegeben wurde. Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass Grenzen mit Personen zu tun haben. Dies wurde exemplarisch anhand der deutsch-polnischen Grenzregion erklärt. Die durch Grenzschließung sichtbar gewordene Verflechtungen wurden ebenso thematisiert, wie das Spannungsfeld von Grenzen zwischen Sicherheitsempfinden und Verlust der Freiheit sowie die Erklärung was sogenannte smart borders sind. „Die Sichtbarkeit der Grenzen ist abhängig von dem Aussehen der Menschen.“ erläuterte Dr. Katarzyna Stoklosa, um auf den Einfluss des eigenen Körpers auf die Sichtbarkeit von Grenzen hinzuweisen. Auch wurden mentale Grenzen aufgeführt, die schwer zu erforschen sind.
Das Panel endete mit dem Sammeln von Grenzfunktionen und der Frage, ob Nationalstaaten überwunden werden müssen und kann hier nachgeschaut werden:
Mit dem Screeing von Mare Clausum – The Sea Watch vs Libyan Coast Guard Case (2018) um 12:30 Uhr wurde der künstlerische, aber nicht weniger politisch-aufgeladene Teil der Tagung eingeleitet. Zeitgleich vollzogen wir einen Sprachenwechsel ins Englische. Um 13:00 Uhr behandelte Charles Heller (Forscher, Filmemacher und Teil von Forensic Architecture/ Forensic Oceanography) im ARTIST TALK die Frage, welche räumlichen und staatlichen Bedingungen dazu führen, dass tausende von Geflüchteten im Mittelmeer ertrinken. Im Talk wurde u.a. der Einfluss des Mare-Clausum-Berichts auf die Politik („Not enough doesn’t mean useless.”) und dessen Ästhetisierung im Kontext von Kunstausstellungen diskutiert. Das Gespräch ist hier aufzurufen:
Kurze Einblicke in unsere physische Ausstellung Beyond States. Über die Grenzen von Staatlichkeit und unseren Sendeort gab es um 14:00 Uhr. Die Kurator*innen Ina Neddermeyer und Jürgen Bleibler führten durch die Ausstellung und stellten einzelne Ausstellungskapitel vor (die künstlerischen Arbeiten von Nevin Aladag, Simon Denny, Vera Drebusch & Florian Egermann, Christopher Kulendran Thomas und Jonas Staal sowie die historischen Exponate zum Lunéville-Zwischenfall, „Entgrenzter Luftkrieg“, „Luft und Katastrophenschutz“, und „Das Luftschiff als staatliches Symbol“). Die Ausschnitte wurden den Tag zuvor aufgenommen.
Um 14.30 Uhr ging Jonas Staal (Künstler und Initiator des New World Summits) in seiner ARTIST LECTURE darauf ein, was es bedeutet, eine Art Parlament für staatenlose Organisationen zu initiieren und welche architektonischen Parallelen er für Demokratie gefunden hat („One person on a bench is full bench. Ten people on a bench is a full bench.”). Staal sprach über die Folgen von Staatenlosigkeit und welche Kriterien dazu führen, dass nichtstaatliche Organisationen „geblacklisted“ werden.
Unsere Tagung endete mit einem anschließenden ARTIST TALK: Jonas Staal im Gespräch mit Bianca Balint (Club of International Politics e.V.), Ina Neddermeyer und Dominik Busch. Jonas Staal und Bianca Balint führten ein moderiertes Gespräch, das durch provokative Fragen („What might be a concept of a future state reflecting challenges of stateless states and nationalism?“) offengehalten wurde. Zuletzt einigten sie sich darauf, dass sie trotz verschiedener Herangehensweisen gar nicht so unterschiedliche Ziele verfolgen. Jonas Staal denkt politische Systeme außerhalb existierender Bedingungen und somit teils in Opposition zu ihnen, während Bianca Balint Veränderungswünsche an bereits bestehende Strukturen politischer Systeme koppelt. Die spannende Diskussion, die aus Annäherung und Ablehnung bestand, ist hier aufrufbar:
Das tatsächliche Ende der ersten Online Assembly vollzog sich bei uns, wie wahrscheinlich auch bei den Zuschauer*innen Zuhause, mit dem Ausschalten des Endgeräts. Wir klappten unsere Laptops zu und bauten unser Studio ab. Wir trugen Technik und Licht hinaus, sodass in der physischen Ausstellung BEYOND STATES. ÜBER DIE GRENZEN VON STAATLICHKEIT nur noch die Ausstellungsstücke zurückblieben.
Die Tagung selbst bleibt im digitalen Raum erhalten und kann weiterhin als Ansatzpunkt für Diskussionen, Anmerkungen und Fragen genutzt werden. Wir freuen uns.