Schattenblüte. Die Fotokünstlerin Irm Schoffers

Die neue Aufmerksamkeit, die der Fotokünstlerin Marta Hoepffner unter anderem durch die aktuelle Ausstellung „Wege in die Abstraktion. Marta Hoeffner und Willi Baumeister“ (29.11.2019 – 1.11.2020) im Zeppelin Museum zuteil wird, kann den Blick auf Irm Schoffers verdecken. Irm Schoffers war Marta Hoepffners Lebenspartnerin und zum Teil auch ihre Muse, aber sie war vor allem eine Künstlerin die über zweieinhalb Jahrzehnte hinweg ein eigenständiges Oeuvre geschaffen hat.

Das Jahr 1959 wurde zum entscheidenden Jahr für Irm Schoffers; damals legte sie den Grundstein für ihr künstlerisches Schaffen. Die medizinisch-technische Assistentin hing ihren Beruf an den Nagel, absolvierte eine Ausbildung als Fotografin, legte die Gesellenprüfung vor der Handwerkskammer ab, wurde Fotokünstlerin, Lehrkraft für Fotografie und Film, Teilhaberin einer privaten Fotoschule und Lebensgefährtin der seinerzeit sehr bekannten Fotopionierin Marta Hoepffner. Die gebürtige Frankfurterin war zu der Zeit 32 Jahre alt.

Ursprünglich hatte sie Ärztin werden wollen. Als Schülerin der Viktoria Oberschule für Mädchen in Frankfurt träumte sie davon. Doch Nationalsozialismus und Krieg durchkreuzten ihr Vorhaben. Nach der Evakuierung ihrer Schule musste sie zu einem Realgymnasium für Jungen in Heppenheim mit mathematisch-naturwissenschaftlicher Ausrichtung wechseln. Geliebte Fächer wie Literatur und Geschichte hatten dort wenig Bedeutung. Je weiter der Krieg fortschritt, desto unregelmäßiger wurde Unterricht abgehalten und im ersten Jahr der amerikanischen Besatzung fiel er vollständig aus. Die Not nach dem Krieg zwang zu Gelegenheitsarbeiten und auch zu Hause wird sie zur Betreuung der drei jüngeren Geschwister gebraucht. Der Wunsch Medizin zu studieren war somit ausgeträumt. Sie fand eine Alternative im Gesundheitsbereich und begann 1947 eine Ausbildung bei einem niedergelassenen Internisten. Zu dieser Arbeit gehörte das Entwickeln von Röntgenbildern, eine Arbeit sie sofort begeisterte und ihr Interesse an der Fotografie begründete.

Was sie zunächst als reines Hobby betrieb, gewann 1950 Konturen. Sie kaufte sich ihre erste Kamera, eine Retina II. Im Selbststudium brachte sie sich die wichtigsten Grundregeln der Fotografie und Dunkelkammerarbeit bei. Ihr Chef, selbst ein passionierter Amateurfotograf, unterstützte sie dabei und überließ ihr das Labor nach Feierabend für eigene Zwecke. Als sie von einer Reise nach Rom zurückkehrt, konnte sie erstmals ihre eigenen Bilder von der ewigen Stadt gegen ein kleines Entgelt an die Mitreisenden verkaufen. Eine Erfahrung die sie anspornte, tiefer in das Metier vorzudringen. Bei der Suche nach Fachliteratur lag es nahe, dass sie auf die Fotoprivatschule Marta Hoepffner im nahegelegenen Hofheim stieß. Doch sollten noch einige Jahre ins Land ziehen, bis sie den sicheren Beruf gegen eine Ausbildung mit ungewisser Zukunft eintauschen wird.

Marta Hoepffners 1949 mit ihrer Schwester Madeleine gegründete Schule war in der jungen Bundesrepublik eine der renommiertesten Einrichtungen für Fotografie. Sie war staatlich anerkannt und befand sich in einer alten geräumigen Villa in Hofheim und verfolgte das Ziel, kreative Gestalter und Gestalterinnen mit eigener Handschrift auszubilden. So liest man im Curriculum von der Vermittlung profunder handwerklicher Fähigkeiten, dem Unterricht in Stilkunde, Kunstgeschichte, experimentellen Bildverfahren wie der Untersuchung der Materialität und den Eigenschaften des Mediums. Die Prinzipien der Frankfurter Städelschule sowie des Bauhauses waren von wegweisender Bedeutung für den Lehrplan der Schule, die zu den wenigen gehörte, die über die handwerklich-kommerzielle Fotografie hinauswies. Fachzeitschriften wie Foto-Magazin, Foto-Prisma, Profi-Foto, Camera (CH), Photo Presse bot die Avantgarde und Technik verknüpfte Schule immer wieder berichtenswerte Themen.

Römerberg in Frankfurt, 1950 (Relieffotografie)

Irm Schoffers war eine strebsame Schülerin. In der Dunkelkammer ihres früheren Arbeitsgeber hatte sie sich bereits Verfremdungsverfahren wie das Relief selbst erarbeitet, doch erst in Hoepffners Schule lernte sie die breite Palette der Abstraktionsverfahren kennen, mit denen Abbilder zu Bildern werden. Schon im zweiten Ausbildungsjahr machte Marta Hoepffner sie zur Assistentin, und übertrug ihr den Unterricht für Schüler aus dem ersten Semester. Irm Schoffers erinnerte sich daran als eine harte, aber intensive und interessante Zeit: „Das Technische und Gestalterische interessierten mich damals gleichermaßen. Täglich lernte ich neue Dinge. Am Anfang hatte ich kaum Zeit genau zu erproben, was ich unterweisen musste. Oft arbeitete ich bis spät in die Nacht, die Arbeit war wie ein schwer zu beendendes Spiel. Dazu kam, dass für die Lehre über neuartige Techniken kein Lehrmaterial zur Verfügung stand, sondern von mir erst erarbeitet werden musste. Daran mangelte es besonders im Umgang mit der Farbfotografie, die an unserer Schule schon gelehrt wurde, als die Beschaffung des Materials noch schwierig und die Kosten sehr hoch waren. Aus Fachzeitschriften, Unterlagen der Fotoindustrie, Aufsätzen von Marta Hoepffner, eigenen Erfahrungen etc. entwickelte ich die jeweiligen Unterrichtseinheiten für meine Schüler, die diese Ausarbeitungen dann sorgfältig in ihre Werkstattbücher übernehmen mussten“. (Gespräch vom 24. Jan. 2007)

Prospekt Privatschule Marta Hoepffner. Die Dauer der Kurse reichte von einer Woche bis zu drei Jahren bei Meisterlehrgängen.  

Nach erfolgreicher Beendigung der Schule entwickelte sich Irm Schoffers von der Assistentin zur Lehrkraft mit vollem Deputat. Sie erweiterte den Unterricht um die fotografischen Techniken der Verzerrung, Verformung und Demontage und vertiefte und erneuerte ihn auf dem Gebiet der Farbfotografie und der Farbfilmentwicklung. Zusätzlich führte sie den experimentellen Gebrauch von Licht und Ton bei der Gestaltung von Schmalfilmen ein. Etwa zeitgleich wurde sie Teilhaberin der Schule. Dadurch wurde die Fotoprivatschule Marta Hoepffner im Innenverhältnis fortan von drei Frauen geführt – Mitgründerin Madeleine Hoepffner unterrichtete von Beginn an Journalismus, kümmerte sich um die Verwaltung, organisierte die Ausstellungen der Schule und erledigte externe Leihanfragen – während nach außen Marta Hoepffner die zentrale Figur repräsentierte.

Irm Schoffers mit Madeleine und Marta Hoepffner und Kursteilnehmer, Foto Privatarchiv Hoepffner/Schoffers

Umzug der Schule

1971 übersiedelten Irm Schoffers und die Geschwister Hoepffner mit der Fotoprivatschule nach Kressbronn in neue Räumlichkeiten mit moderner Labortechnik. Mit dem Umzug aus Hofheim in der Nähe der Großstadt Frankfurt in das provinzielle Kressbronn erfüllten sie sich den Wunsch, in einer reizvollen Gegend in der Nähe der Berge leben und arbeiten zu können. Der Umzug war mutig. Irm Schoffers und Marta Hoepffner waren ein gleichgeschlechtliches Paar, was sie nicht verhehlten. Meist waren sie zu dritt unterwegs, eine Konstellation die nicht nur durch ihre konservative Kleidung auffiel. Die in Kressbronn bereits in kleinerer Version und unter der Leitung von Irm Schoffers betriebene Schule wurde 1975 geschlossen. In 26 Jahren hatte die Schule über 1000 Schüler und Schülerinnen unterrichtet. In dieser Zeit gewann die Fotografie als künstlerisches Medium an Bedeutung, was auch der Fotoprivatschule zu verdanken ist.

In der Wahlheimat, einem kunstsinnigen Örtchen, hatten sich die drei rasch eingelebt. Wie schon in Hofheim unterhielten sie Kontakte und Freundschaften mit ansässigen Künstlern und Künstlerinnen, wie dem früheren Bauhauslehrer und Maler Georg Muche, dem Gartenarchitekten und Maler Otto Valentien oder der Bildhauerin und Medailleurin Hilde Broër. Einige davon gehörten zu dem engen Kreis der Personen, die Irm Schoffers portraitierte. Nach der Schließung der Schule hatte sie wieder mehr Zeit, ihre künstlerische Arbeit zu intensivieren. Ihre Nichte Sigrid Schoffers erinnert sich, dass sie seinerzeit auch darüber nachdachte, sich mit der Bildbearbeitung am Computer vertraut zu machen, um diese Technik evtl. für ihre künstlerische Arbeit zu nutzen, dies aber Einwänden von Marta Hoepffner zuliebe sein ließ.

Vierzig Jahre lang lebten Irm Schoffers und Marta Hoepffner in enger gleichgeschlechtlicher Partnerschaft. In der Beziehung war Irm Schoffers die fürsorgliche und verantwortungsvolle, die das gemeinsame Leben besorgte. Sie war 15 Jahre jünger als die selbstbewusste und kämpferische Marta Hoepffner, Jahrgang 1912, die nicht nur von sich, sondern auch von anderen viel forderte. Andererseits war Marta Hoepffner auch großzügig, lebensfroh und zuweilen ausgelassen. In der Schule in Hofheim wurde viel gearbeitet, aber auch viel gefeiert. Und auch in Kressbronn blieb das Haus offen für Freunde und Künstler. Als Madeleine Hoepffner über deren Werdegang kaum etwas bekannt ist – 1988 mit 78 Jahren verstarb, übernahm Irm Schoffers die Aufgaben des Leihverkehrs. Wenn auch das Interesse bei Leihanfragen meist Marta Hoepffners Werken galt, achtete diese stets darauf bzw. machte es zur Bedingung, dass auch Bilder von Irm Schoffers gezeigt wurden und wenn sie von der Schule sprach, vergaß sie nie auf die Arbeit ihrer Schwester und Lebensgefährtin hinzuweisen. Als Marta Hoepffner in die Jahre kam, pflegte Irm Schoffers die Partnerin liebevoll bis zu ihrem Tod im Jahr 2000.

Künstlerische Arbeit

Spricht man heute über die Fotokünstlerin Irm Schoffers, ist der Name Marta Hoepffner nicht weit. Hoepffner-Schülerin ist eine Etikette, die ihr seit dem Schulbesuch anhaftet, und die durch die private und berufliche Nähe zur Weggefährtin besonders schwer abzustreifen ist. Irm Schoffers ist vom Sehen ihrer Lehrerin beeinflusst, doch zweifelsohne hat sie ein feines, eigenes Werk geschaffen.

Irm Schoffers widmet sich dem Verhältnis von Bild und Abbild und strebt nach einer künstlerischen Formfindung mit unkonventionellen Mitteln. Ihre Arbeit setzt dort an, wo Kollegen und Kolleginnen sie meist abgeschlossen haben, nämlich bei der fertigen Aufnahme. Ausgangspunkt ihrer schöpferischen Fotografie sind einfache naturalistische Aufnahmen. Diese Zeugnisse von der realen Welt, seien sie auf Negativen, Diapositiven oder Fotoabzügen festgehalten, verändert sie in der Dunkelkammer anhand verschiedener technischer Verfahren. Damit löst sie reale Formen auf und lässt „darunterliegende“ Strukturen aufscheinen, die abstrakten, streng konstruktiven und surrealistischen Kompositionen gleichen oder an Malerei erinnern.

Serielle Wandlung, 1966 (Fotomontage)

In der Frühzeit ihres Schaffens beschäftigt sich Irm Schoffers mit Stadtansichten, mit Blättern, Wurzeln und ähnlichen Details aus der Natur und verfremdet die Motive mit Verfahren wie Relief, Solarisation oder Negativdruck. Etwas zeitgleich arbeitet sie mit halbmechanischen Verfremdungsverfahren. Bei der Kreiskombination Fischer benutzt sie einen Plattenteller, der das Fotopapier bewegt. Aus dem kreisförmig aneinandergereihten Ursprungsmotiv entwickelt sich eine reizvolle Rosette, mit einer Art 360 Grad Auge in der Bildmitte.

Kreiskombination- Fischer, 1966 (Kreissegmentmontage)

Im Laufe der Jahre wird es schwieriger den visuellen Kern des ursprünglichen Bildes zu entschlüsseln. Schoffers lässt der zunächst noch figürlich geprägten Phase Arbeiten mit kreisrunden Schablonen folgen, die durch Verfahren der Überlagerung, Solarisation und Doppelbelichtung unregelmäßigen, im Raum schwebenden Punkte gleichen. In ähnlicher Weise handhabt sie profane Küchensiebe oder Rohkostreiben. Die Haushaltsgeräte verwandelt sie in farblich ansprechende, scheibenartige Gebilde, die in einer spannungsreichen Beziehung zum Ursprungsmotiv stehen.

Verlagerung, 1976 (Farbfotogramm mit Farbfolilenmontage)

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Auseinandersetzung mit „Fundstücken“. Dabei greift Schoffers auf bereits existierende, zufällig gemachte oder scheinbar unbedeutende Aufnahmen zurück, die sie reiht, spiegelt oder neu montiert, so dass das Anfangsmotiv, häufig ein bekanntes Architekturdetail, eine neue irritierend wirkende räumliche Form erhält. Le Corbusiers berühmte Kapelle von Ronchamp steigert sie zu einem irrationalen Objekt.

Ronchamp-Metacollage, 1972, (Überblendete Farbfolienmontage) 

Ein wichtiges Gestaltungsmittel ist die Farbe. Irm Schoffers geht bereits selbstverständlich damit um, als Farbe in der künstlerischen Fotografie noch meist auf Ablehnung stieß. Sie untersucht die Wirkmacht der Farbe und beim Motiv Pueblo Antiquo stellt sie diese in insgesamt sechs Varianten vor.

Pueblo Antiguo, 4 Farbvariationen, 1970 (Farbfolienmontage)

Ihre visuelle Neugier, ihr Interesse an unbekannten Strukturen lässt sie die Lichtbildnerei wörtlich nehmen und bis zu den Grenzen des Mediums vordringen. Es entstehen verstärkt kameralose Experimente, beispielsweise Fotogramme, die auf dem von ihr zur Beschreibung bestimmter Arbeiten gebrauchten Begriff des „gelenkten Zufalls“ basieren. Zuletzt, etwa Mitte 1980, produziert sie unter Einsatz von Polfiltern schwarzweiße und farbige Strukturen, die einem Zauber gleich, Unsichtbares offenbaren und die Fantasie des Betrachters beflügeln.

Durchdringung, 1979 (Kristalines schwarz-weiß Fotogramm) 

Lässt man Irm Schoffers’ Arbeit Revue passieren, wird augenfällig, dass die Dunkelkammer ihr eigentliches Versuchsfeld darstellte; hier entwickelte sich ihre Liebe zur Fotografie und hier entstand das letzte Bild. Stilistisch weist ihre Kunst aus dem Fotolabor auch Parallelen zu Informell, Phantastischem Realismus und Pop Art auf. Gerhard Schaugg von der Galerie Lände, die sich vorbildlich mit dem Werk von Irm Schoffers beschäftigt hat und ihr 2007 zum 80. Geburtstag eine Ausstellung widmete, beschrieb sie einmal trefflich als eine Künstlerin, die durch aufmerksames und kreatives Forschen im Bereich der Foto-Grafik einen wichtigen Beitrag zur Erweiterung unserer visuellen Wahrnehmung und zur Ausweitung der Kunstdimension innerhalb der Fotografie geleistet habe.

Marta Hoepffner wird sicherlich zu Recht als die bedeutendere Künstlerin und Künstlerpersönlichkeit gesehen. Doch einiges von dem Gefälle in der öffentlichen Wahrnehmung dürfte in dem begrenzten Aufmerksamkeitspotential begründet sein, einem Winner-takes-it-all-Effekt. Deshalb sollte Irm Schoffers losgelöst von Ihrer Lehrerin und eigenständig rezipiert werden.

Fotonachweis: Courtesy Museum – Galerie Lände Kressbronn, © Estate Irm Schoffers

 

Dorothea Cremer-Schacht: „Fotografie ist ein fantastisches Medium“, so Dorothea Cremer-Schacht. Nach Tätigkeit in Wirtschaft und Wissenschaft wechselte sie 1990 zur Fotografie. 1993 Gründung der Projektgruppe Fotografie am Bodensee. https://fotografie-am-bodensee.de/
 

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