LZ 127 Weltfahrt – Teil 9: „Graf Zeppelin“ überquert den Pazifik

Noch immer war das Wetter sehr ungünstig für den neuerlichen Start. Die Passagiere hatten sich nach einer halben Nacht im Hotel „Imperial“ erneut auf dem Luftschiffhafen in Kasumigaura eingefunden. Sie mussten aber noch stundenlang warten, wie Heinz von Eschwege beschreibt: „Stunden vergingen und der Wind nahm nicht ab. So ist es die ganze Nacht geblieben. Im Schiff konnten wir nicht schlafen, in unseren Kabinen herrschte eine solche Schwüle, daß daran nicht zu denken war.  (…) In der Halle liegen die weißen japanischen Matrosen zu Hunderten auf dem Zementfußboden herum. Auf dem Tisch, an dem gestern beim ersten Start Eckener der Ehrentrunk gereicht wurde, schlafen im leichten Zugwind Mitglieder der Deutschen Botschaft. Draußen auf dem Feld, unter den Zelten, überall, wohin man schaut – im Dunkel und in den Lichtkegeln der Scheinwerfer – liegen in Reihen und Klumpen Tausende von unentwegten Zuschauern, die den endgültigen Start nicht versäumen wollen. (…) Die Schmerzen in meinem Fuß sind unerträglich geworden. Ich habe eine Stunde lang draußen vor der Halle mit den Maschinisten auf der Laufkatzenschiene gehockt. Die erzählen sich, was sie in Tokio eingekauft haben für ihre Frauen und Bräute. Es beginnt Tag zu werden. Ich möchte einmal wieder eine ganze Nacht in einem richtigen Bett schlafen.“
Die japanische Crew wartet auf bessere Wetterbedingungen
Die japanischen Matrosen wartet auf bessere Wetterbedingungen © Archiv der Luftschiffbau Zeppelin GmbH
Erst am Nachmittag gegen 15 Uhr konnte LZ 127 „Graf Zeppelin“ starten. Fregattenkapitän Fujiyoshi höchstpersönlich kommandierte mit einem großen Sprachrohr, und dieses Mal ging alles gut. Von Eschwege schätze, dass rund 50.000 Menschen dem scheidenden Zeppelin zuwinkten und verabschiedeten.
Fregattenkapitän Fujiyoshi kommandierte mit einem großen Sprachrohr
Fregattenkapitän Fujiyoshi kommandiert © Archiv der Luftschiffbau Zeppelin GmbH
Laut Geisenheyner waren es aber deutlich weniger: „Zwanzigtausend Japaner, Hunderte von Deutschen sahen den Zeppelin mit Wehmut verschwinden und riefen ihm Abschiedsgrüße nach. Aus allen Städten und Dörfern Japans war man gekommen, um den Abflug zu sehen. Die ganze Nacht und den halben Tag über war die Halle dicht von den Neugierigen belagert. (…) Die Erinnerung an den Zeppelin wird in Japan nicht mehr schwinden. Das Ereignis wird bald die Volkskunst beherrschen. Es wird in die Schulbücher kommen und so im Gedächtnis der japanischen Jugend fortleben. (…) Wir wußten nur noch eins: es kann und darf nicht mehr lange dauern, bis wöchentlich ein Zeppelin von Friedrichshafen oder Berlin nach Tokio fliegt.“ Hinauf über den Stillen Ozean wurde das Luftschiff von einer Staffel japanischer Marineflieger eine Weile begleitet. Kapitän Lehmann erzählt: „Als sie umgekehrt ist, geht von Bord des ‚Graf Zeppelin‘ eine andere Fliegerstaffel ab in Gestalt von vier Brieftauben, die ein japanischer Journalist als Eilboten mitgenommen hat und Commander Rosendahl sorgsam zum Heck hinaus entläßt.“ Dadurch verhinderte Rosendahl, dass die Brieftauben in den Sog der Propeller gerieten.
Ein japanischer Journalist schickt Brieftauben vom Luftschiff aus
Ein japanischer Journalist schickt Brieftauben vom Luftschiff aus © Archiv der Luftschiffbau Zeppelin GmbH
GRAUE TAGE Allmählich zog sich der Himmel zu und es wurde über dem Stillen Ozean zunehmend neblig. Von Eschwege legte sich in seine Kabine und schlief stundenlang. Plötzlich wachte er auf, weil er fast von seinem Bett gerollt wäre. Das Luftschiff hatte ein Gewitter durchfahren. Der Journalist erinnert sich: „Die meisten haben es in ihrer Todmüdigkeit verschlafen. Herr von Wiegand, der es mit angesehen hat, meint, es wäre eine ziemlich üble Geschichte gewesen: eine dunkle Wand (…) mit Wetterleuchten und Blitzen. Als dramatischer Höhepunkt wäre das Schiff hundert Meter emporgerissen und hundert Meter wieder hinabgeschleudert worden. Na schön – Hauptsache ist, daß ich nicht aus dem Bett gefallen bin.“   Ob sich diese Episode tatsächlich auf der Weltfahrt ereignet hat, ist allerdings fragwürdig, denn keiner der anderen deutschen Journalisten oder der Zeppeliner hat sie in seinen Erinnerungen erwähnt. Womöglich hat von Eschwege da etwas verwechselt oder versucht, seine Erzählung spannender zu gestalten. Sämtliche Kapitäne schreiben, dass es auf diesem Fahrtabschnitt nicht viel zu verpassen gab. Der Nebel und die tiefhängenden Wolken wurden immer dichter und hielten sich hartnäckig. Auch Max Geisenheyner erwähnt das Grau in Grau: „Das Wasser hatte keine Färbung. Es war grau. Die Nebel hielten die Spiegelung des Himmels ab. Nur manchmal, wenn sie zerrissen, war das Wasser gleich einer großen blauen, glitzernden Farbmasse in einem Riesenbottich ausgebreitet. Die Wettermeldungen waren das einzig Erregende. Die Gespräche das Erholende. Ueber alle Mitfahrenden war in den ersten vierundzwanzig Stunden eine Erschöpfung gekommen. Man empfand die Notwendigkeit einer Atempause nach so starken Ereignissen. Das Klappern der Schreibmaschinen ging in ein ruhiges Gleichmaß über. Selbst Lady Drummond-Hay, die eifrigste aller Dichtenden an Bord, tippte nur noch kurze Telegramme.“ Sogar den unbestrittenen Star dieser Reise hatte der Nebel verschluckt. Heinz von Eschwege: „Eckener ist seit Tagen unsichtbar, liegt mit krankem Magen zu Bett.“ Selbstverständlich bemerkten die Zeppeliner die veränderte Stimmung der Fahrgäste. Kapitän Sammt berichtet: „Dadurch wurde dieser Fahrtabschnitt insbesondere für die Passagiere eintöniger als die so eindrucksvolle Reise bisher. Ein Ereignis war natürlich die Überquerung des 180. Längengrades, der ja bekanntlich die Datumsgrenze bildet. Wir verließen dort den 24. August und fuhren doch wieder in diesen Tag hinein.“ Hans von Schiller schreibt über die nebligen Tage: “Für die Fahrgäste war es etwas langweilig, man sah nichts, und so sah sich die Presse genötigt, auf irgendwelche Sensationen Jagd zu machen. Bei den reichlichen Festen hatte sich Dr. Eckener den Magen verdorben, das wurde nun ausgenutzt für die Berichte. Einer der Pressephotographen hatte Zahnschmerzen bekommen und sich eine Notplombe legen lassen, da er noch dazu in Japan stark überarbeitet war – er hatte alle seine Filme in der ungeheuren Hitze selber entwickelt -, so klappte er zusammen und bekam leichte Herzzustände. Glücklicherweise hatten wir einen Arzt als Passagier an Bord, denn die Ausbildung der Besatzung beschränkte sich auf das übliche Maß aus der Seefahrt: Alles Äußerliche Jod, alles Innerliche Rizinus!“ Der leidende Pressefotograf war von Perckhammer. Sein Kollege von Eschwege hingegen war seinen Zahnschmerz inzwischen losgeworden; er hatte sich noch in Tokio den Zahn ziehen lassen. Womit sich die Passagiere während der Nebelfahrt die Zeit vertrieben, erzählt Geisenheyner: „Auf keinem Abschnitt der Fahrt sind so viel Kartengrüße versandt worden wie auf diesem. Das Schiff ringsum wie in Watte gehüllt, zog ohne jede Schwankung voran.“ Doch irgendwann besserte sich das Wetter. Nicht mehr lange, dann würde der Stille Ozean überquert sein. Von Eschwege: „Der Nebel hat nachgelassen. Wir hatten heute einen schönen Fahrttag. Dr. Eckener ist anscheinend wieder gesund. ‚Gott sein Dank!‘ hat Schiller gesagt. ‚Der Alte ist wieder vorne im Führerstand!‘ Man murmelt, es soll schon Land gesichtet worden sein. In zwei Stunden, bei Dämmerung, werden wir über San Franzisko sein. Die Allgemeinstimmung hebt sich.“
Der Blick vom Zeppelin aus
Der Blick vom Zeppelin aus © Archiv der Luftschiffbau Zeppelin GmbH
Auch Albert Sammt war froh, dass die langweiligen  Nebelbänke hinter ihnen lagen. Mit dem Verlauf der Fahrt von Japan nach Amerika war er sehr zufrieden: „Endlich am Morgen des 25. August ging die Sonne wieder strahlend über dem Wasser auf. Als erste Vorboten der nahenden Küste tauchten mächtige Schwärme von Wasservögeln unter uns auf. Obwohl die Navigation durch Nebel und tiefliegende Wolken erschwert gewesen war, erreichten wir wie beabsichtigt die Westküste Amerikas bei San Francisco um 16.30 Uhr; 67 Stunden nach dem Verlassen der japanischen Insel. Damit war auch der große Pazifik zum ersten Mal im Nonstopflug überquert worden. Im gleißenden Abendlich fuhren wir in die Golden Gate Bay ein.“ Hugo Eckener wollte sich diesen historischen Moment natürlich nicht nehmen lassen. Er schreibt in seinen Erinnerungen: „Die Schönheit der Bucht von San Francisco ist in allen Sprachen gepriesen worden. (…) Als wir in etwa 500 Meter Höhe hineinsteuerten und das zauberhafte Bild überschauten, waren wir tief ergriffen und zu Tränen gerührt. Die schon tiefstehende Sonne überflutete Meer und Land und die Berge ringsum mit warmem, goldenen Licht und malte ein wunderschönes Gemälde. Und der Empfang, den uns diese herrliche Stadt bereitete, war nicht minder großartig.“ Hunderte bunter Flugzeuge umkreisten den Zeppelin, während er über San Francisco eine große Schleife drehte. Anschließend ging die Fahrt südwärts entlang der Pazifikküste. Kapitän Lehmann: „Es dunkelt, während wir küstenlängs steuern, vorüber an dem lichterfunkelnden Märchenschloß des Zeitungskönigs Hearst, dessen Berichterstatterin an Bord Grace Drummond ist.“ Lehmann verschweigt den spektakulären Augenblick, den ihnen der Medienmogul bereit hatte – ganz im Gegensatz zu Sammt: „Als wir über die Besitzungen unseres Gönners Randolph Hearst hinwegschwebten, lagen diese zunächst in tiefem Dunkel. Plötzlich aber erstrahlten alle Lichter des ganzen Areals und sandten uns in Morsezeichen einen Willkommensgruß. Das war natürlich eine ganz große Überraschung – echt amerikanisch!“   Als „Graf Zeppelin“ kurz vor Mitternacht die Millionenstadt Los Angeles erreichte, waren die Reisenden aufgeregt und voller Vorfreude. Heinz von Eschwege berichtet: „Herr Iselin kommt aus einer Kabine gestürzt und schreit: ‚Geben Sie mir die Hand! Ich muß allen die Hand schütteln. Das ist zu schön!‘ Es ist auch wirklich sagenhaft, begeisternd schön, was wir sehen. Unter uns strahlt die Riesenstadt mit Millionen von Lichtern: Soweit man sehen kann: nichts als Licht.“ Herr Iselin und die anderen mussten sich allerdings noch etwas gedulden. Wegen der hohen Temperaturen konnte der Zeppelin nicht ohne Schwierigkeiten auf dem Flugfeld der US Navy landen. Daher entschloss sich Eckener, über der Filmstadt bis zum Morgengrauen Schleifen und Kreise zu ziehen…

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