Es ist wahrlich kein Zufall, dass dieser Blogbeitrag gerade heute erscheint. Immerhin ist der 6. Mai einer der wohl bekanntesten Jahrestage in der Geschichte der Luftschifffahrt. Denn heute vor genau 82 Jahren kamen insgesamt 22 Besatzungsmitglieder, 13 Passagiere und ein Mitglied der amerikanischen Haltemannschaft beim Unglück von Lakehurst ums Leben, welches schlussendlich das Ende der damaligen (Passagier-)Luftschifffahrt einläutete. Wir alle haben die Bilder im Kopf, kennen die Geschichte.
Oder?
Auch wenn wir bis heute von einem „Zusammentreffen einer Reihe unglücklicher Umstände“ sprechen, genauer: einem durch Reißen eines Spanndrahtes entstandenes Leck, durch das sich das freigelassene Wasserstoffgas zu einem brennbaren Wasserstoff-Luft-Gemisch verbinden konnte, weist selbst der offizielle Bericht des Untersuchungsausschlusses darauf hin:
„Trotz ausführlicher Vernehmung sämtlicher Zeugen, trotz eingehender Besichtigung und Durchsuchung des Wracks und trotz Auswertung aller über den Verlauf des Brandes Auskunft gebenden Bilddokumente ist für keine der […] Möglichkeiten ein völlig sicherer Beweis zu finden.“
Und genau hier kommen die unzähligen Verschwörungstheorien ins Spiel – von einem bewusst eingebauten Konstruktionsfehler über einen geplanten Bombenanschlag bis hin zu einem hühnerbeschützenden Bauern mit Gewehr. All diese Spekulationen bewegen sich irgendwo zwischen Wahrheit und Lüge. Allerdings kann niemand mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, wo diese Linie anfängt und wo sie aufhört.
Doch aufgrund solcher (ungeklärten) Mythen ist die Faszination rund um die fliegenden Zigarren nie abgeflacht. Im Gegenteil: Wirft man mal einen Blick auf die heutige Popkultur, sieht man sie überall – in Filmen, Serien und sogar in Videospielen. Doch auch hier ist es ein schmaler Grat zwischen Fakt und Fiktion.
Daher habe ich den heutigen Tag als Anlass genommen, in den Tiefen von Netflix, YouTube und co. nach interessanten Zeppelin-Gastauftritten zu suchen. Jürgen Bleibler, Leiter der Zeppelin-Abteilung, war daraufhin zum ultimativen Faktencheck bereit. Neben aufschlussreichen Antworten gibt er auch noch eine Einschätzung, wie nah die Darstellungen tatsächlich an die Realität herankommen. Die Skala reicht dabei von 0 (pure Fiktion) bis 10 (absoluter Fakt).
Aber Achtung: Wie bei wohl jeder konkreten Besprechung von Unterhaltungsmedien, gibt es auch hier den allseits bekannten SPOILER ALERT…
The Umbrella Academy
Entfremdete Geschwister mit Superkräften, ein toter Vater, schockierende Familiengeheimnisse, eine ernste Bedrohung für die Menschheit… ach ja: Und natürlich der Hindenburgabsturz. Wie genau das zusammenhängt, dürft ihr sehr gerne bei einem Nachmittag auf Netflix herausfinden.
Wir konzentrieren uns nun aber auf eine ganz bestimmte Szene der sechsten Folge, in der diskutiert wird, wie die Katastrophe vom 6. Mai 1937 auf jeden Fall funktionieren kann. Die Lösung: Karl Weber töten. Also den Metzger, bei dem Luftschiffkapitän Ernst A. Lehmann seinen wöchentlichen Braten kauft. Stirbt Karl, wird die Metzgerei an seinen Sohn Otto weitervererbt, der sich nie die Hände wäscht. Somit bekommt Lehmann bei seinem nächsten Einkauf eine Lebensmittelvergiftung gratis dazu. Dadurch kommt er zu spät zur Arbeit, was wiederrum den Take Off verzögert. Um die Zeit aufzuholen, fliegt die Hindenburg dann direkt durch eine elektrisch geladene Wetterfront mit hoher Luftfeuchtigkeit. Durch die statische Elektrizität wird der Zeppelin zum reinsten Pulverfass, weshalb nur noch ein klitzekleiner Funke für die somit kaum vermeidliche Explosion fehlt.
Aber muss der arme Metzger denn tatsächlich sterben, damit die Hindenburg untergehen kann?
Jürgen Bleibler: Ich glaube nicht. (lacht) Die elektrostatische Aufladung ist aber durchaus eine ernstzunehmende These. Das bedeutet allerdings auch, dass genau zum richtigen Zeitpunkt eine Knallgaskonzentration, also ein zündfähiges Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch, vorhanden sein muss. Das zu beeinflussen ist durch eine bewusste Verspätung einfach nicht möglich.
Fazit
Witzig, aber nur bedingt wahrheitsgetreu. Daher lediglich eine 3/10.
Gotham
Batman mal anders: Die Erfolgsserie rückt – ganz im Gegensatz zu anderen Adaptionen – den noch jungen Detective des Gotham City Police Department, James Gordon, in den Mittelpunkt. In Folge 18 der vierten Staffel kämpft dieser an der Seite des späteren Fledermausmannes gegen eine Bedrohung aus der Luft: Einen Zeppelin, geladen mit Lachgas.
In einer Szene erklärt der hypnotisierte Luftschiffpilot dem Pinguin, einer bekannten Figur aus dem Batman-Universum und hier unfreiwilliger Zeppelinpassagier, dass während des Flugs der giftige Stoff mit einem Hebel über einer Menschenmasse abgeworfen werden soll. Ist das überhaupt möglich?
Jürgen Bleibler: Sicher ist das möglich. Im Ersten Weltkrieg wurden ja beispielsweise auch Bomben abgeworfen. Man muss nur aufpassen, denn das Luftschiff wird dann natürlich um dieses Gewicht leichter und steigt entsprechend nach oben.
Kurz darauf wird der Pinguin von James Gordon per Telefon aufgefordert, den Zeppelin zu übernehmen und ihn zu einem nahegelegenen Fluss zu steuern. Aber wäre ein Laie, der laut eigener Aussage noch nicht einmal Auto fahren kann, überhaupt in der Lage, ein Luftschiff zu manövrieren?
Jürgen Bleibler: Es gab zwar schon Fälle, bei denen ein Enkel über Funk und mit Hilfe seines Großvaters ein Kleinflugzeug landen konnte, aber mit einem Passagierflugzeug oder, wie in diesem Fall, einem großen Zeppelin ist das unmöglich. Dafür sind die Systeme viel zu komplex.
Fazit
Wenn man sich auf diese Fantasiewelt einlässt und das Ganze vollkommen aus dem historischen Kontext löst, kann man durchaus eine 4/10 geben.
Assassin’s Creed: Syndicate
Im neunten Ableger der Spielereihe begleitet man eigentlich die Assassinenzwillinge Jacob und Evie Frye, die im London des 19. Jahrhunderts in bekannter „Assassin’s Creed“-Manier auf Templerjagd gehen. In einer Nebenmission des Spiels gelangt man aber in das Jahr 1916 und kämpft sich fortan mit Lydia Frye, einer Nachfahrin von Jacob Frye, durch den Ersten Weltkrieg. Die erste Mission, The Darkest Hour, dreht sich um einen Luftschiffangriff.
Zunächst: Gab es denn Zeppeline in London während des Ersten Weltkriegs?
Jürgen Bleibler: In London nicht, aber darüber.
In einer Zwischensequenz der Mission sieht man dann das Luftschiff LZ 76. Gab es dieses überhaupt? Und wenn ja, wurde es tatsächlich für einen Angriff auf London eingesetzt?
Jürgen Bleibler: LZ 76 gab es tatsächlich, genauso wie die Angriffsfahrt auf London. Wobei hier ein spitzfindiger historischer Fehler passiert ist: Es würde natürlich nicht LZ 76 auf dem Zeppelin stehen, sondern die Marinekennung L 33. Außerdem impliziert die ganze Sequenz, dass Bomberzeppeline von Begleitjägern flankiert wurden, um sie vor Angriffen gegnerischer, in diesem Fall britischer Jagdflugzeuge zu schützen – und das gab es nicht. Jagdflugzeuge hatten nicht so eine große Reichweite und wären daher nicht in der Lage dazu gewesen.
Das Ziel der Mission ist es, eben diese Begleitjäger mit einer Anti-Air-Gun abzuschießen. Wurden solche Waffen auch benutzt, um Zeppeline vom Himmel zu holen?
Jürgen Bleibler: Natürlich. In Deutschland gab es beispielsweise das berühmte kruppsche Ballonabwehrgeschütz. Und in Frankreich wurden damals auch ein, zwei deutsche Luftschiffe von solchen Fliegerabwehrkanonen abgeschossen. Der Großteil der Zeppeline wurde aber durch Jagdflugzeuge zerstört.
Fazit
Sehr schöne Optik, vor allem was das Flugverhalten angeht. Teilweise gibt es aber grobe historische Fehler. Daher nur eine 6/10.
Fringe – Grenzfälle des FBI
Eine Mystery-Serie, die die Theorie aufstellt, dass alle wissenschaftlichen Errungenschaften der Menschheit von Kriminellen missbraucht werden. Ohne Rücksicht auf Verluste werden Menschen als Versuchskaninchen für geheime Experimente eingesetzt. Eine FBI-Sondereinheit beschäftigt sich mit der Aufklärung dieser Fälle. Das ist „Fringe“.
Eben jene FBI-Abteilung findet später heraus, dass diese grenzwisschenschaftlichen Ereignisse mit einem Paralleluniversum zusammenhängen, in dem unter anderem auch Zeppeline über dem heutigen New York kreisen. Zu sehen in Folge 21 der zweiten Staffel. Produzent Jeff Pinkner sagt in einem Interview mit der Los Angeles Times dazu: „Had the Hindenburg not blown up, zeppelins would be passenger air ships docking at the Empire State Building. That was the plan.“ Wie viel Wahrheit steckt dahinter?
Jürgen Bleibler: Es gab auf der Spitze des Empire State Buildings tatsächlich einen Ankermast. Das Andocken von Zeppelinen war daher konkret geplant, wurde aber auf Abraten der Luftschiffer nie versucht. Da oben gibt es im Grunde ja keine Bodenfläche für die Haltetaue, außerdem hat man keinerlei Kontrolle über die Wetterverhältnisse. Aber es war verständlicherweise eine Vision von Zukunft und neuem Verkehr. So wie heute mit den Flugtaxis.
Fazit
Aus historischer Sicht schwierig, weil etwas – ohne es kritisch zu hinterfragen – als gegeben hingenommen wird. Für den Rechercheaufwand gibt es aber immerhin eine 3/10.
Blade Runner (1982)
In diesem Science-Fiction-Klassiker macht Harrison Ford, im Film besser bekannt als Rick Deckard, Jagd auf sogenannte Replikanten. Die menschenähnlichen Androiden suchen auf der Erde nach ihrem Schöpfer, um ihre eingebaute Sterblichkeit zu reparieren – und gehen dabei über Leichen. Zufälligerweise spielt das Ganze auch noch im November 2019.
Aber was natürlich noch sehr viel wichtiger ist: Im Laufe des Films sieht man einen sehr fantasievoll gestalteten Zeppelin, der mithilfe eines an der Seite angebrachten Monitors als Werbeplattform dient. Sind solche „Luftschiffe“ auch für die (nahe) Zukunft denkbar?
Jürgen Bleibler: Das ist ein reines Fantasiegebilde, welches keinerlei technische Fragen beantwortet und daher sowohl mit historischer als auch zukünftiger Luftfahrt nichts mehr zu tun hat. Aber das ist eben die Faszination von Science-Fiction…
Fazit
Es ist charmant und witzig, aber reinste Fiktion. Daher eine nett gemeinte 2/10.
Grand Theft Auto V / Online – DLC: After Hours
Wenn das Verbrechen einen Namen hat, dann wohl „Grand Theft Auto“. Im fünften Hauptteil der Spielereihe gibt es neben dem bekannten Einzelspielermodus auch eine riesige Onlinewelt. Dort kann man seinen eigenen Avatar kreieren, sich mithilfe einer Crew aus anderes Spielern ein kriminelles Netzwerk aufbauen und somit zum schlimmsten aller Gesetzesbrecher in den sündigen Straßen von Los Santos werden. Die virtuelle Welt wird außerdem kontinuierlich mit neuen, kostenlosen Inhalten vergrößert. So kann man mit dem Erweiterungspack „After Hours“ beispielsweise eine leerstehende Immobilie zum heißesten, aber nicht unbedingt legalsten Spot der Clubszene verwandeln und so zum Nachtclub-König der Stadt aufsteigen.
Darüber hinaus wurde mit dieser Erweiterung ein Zeppelin in die Spielewelt eingeführt, der eigentlich zum Bewerben des Clubs dient, aber auch zum privaten Vergnügen genutzt werden kann. Dieser ist für rund eine Millionen Dollar zu erwerben. Kriegt man für das Geld auch ein echtes Luftschiff?
Jürgen Bleibler: Es ist ein schön recherchiertes Prallluftschiff – ähnlich den Goodyear-Blimps. Sieht gut aus, hübsch gemacht, gute Form. Mit einer Millionen Dollar im Anschaffungspreis kommt man da aber nicht weit. Außerdem muss dann ja noch die Infrastruktur finanziert werden.
Im Spiel kann man außerdem aus jedem fahrenden oder auch fliegenden Fortbewegungsmittel springen, so auch aus dem Zeppelin – selbstverständlich mit Fallschirm. Wie sieht das denn damit im Reallife, also im echten Leben, aus?
Jürgen Bleibler: Durchaus möglich. Das haben die bei Zeppelin NT schon öfter gemacht. Man hat sogar schon Skifahrer über einem Berg abgeseilt.
Fazit
Hoher Realitätsgehalt, daher durchaus eine 7/10.
Zusammenfassend lässt sich also sagen: Die oben genannten Beispiele bewegen sich tatsächlich irgendwo zwischen Fakt und Fiktion. Mal mehr in die eine, dann wieder deutlich in die andere Richtung. Aber eins haben sie alle gemeinsam: Sie tragen dazu bei, dass der Kult rund um den Zeppelin auch nach vielen Jahrzehnten nicht vergeht!
Jürgen Bleibler studierte Bibliothekswesen, Kunstgeschichte und Germanistik in Stuttgart und Saarbrücken und ist seit 1998 Leiter der Zeppelin-Abteilung. Er publiziert zu Themen der Luftfahrt-, der Technik- und der Verkehrsgeschichte und ist Kurator diverser Wechselausstellungen, derzeit für „Game of Drones. Von unbemannten Flugobjekten“ (7. Juni bis 3. November 2019), im Zeppelin Museum.
Kennt ihr noch andere Serien, Filme oder Videospiele, in denen das Kultobjekt Zeppelin einen Gastauftritt hat? Wenn ja, was ist eure Einschätzung: Sind die Darstellungen eher Fakt oder pure Fiktion?