Das Ende der „Babykiller“

Das letzte Jahr des Ersten Weltkriegs hatte für die Marine-Luftschiffer mit einem enormen Materialverlust begonnen: am 5. Januar 1918 explodierten in Ahlhorn fünf Luftschiffe, darunter eines von Schütte-Lanz.

Auch die folgenden Monate waren von Verlusten und Frustrationen geprägt. Neben ein paar Aufklärungsfahrten gab es nur wenige Angriffe auf England, die meisten mussten wegen schlechten Wetters abgebrochen werden oder fanden erst gar nicht statt.

Wettrüsten
Die Abwehr der Engländer hatte sich im Verlauf des Krieges immer weiterentwickelt und im gegenseitigen Wettrüsten zwischen der „Waffe Luftschiff“ und dem Flugzeug überflügelten sie sich abwechselnd.

Im Buch „Szenen einer Hassliebe“ schreibt Dr. Wolfgang Meighörner:

„War zu Beginn des Krieges zumindest auf deutscher Seite noch der Schwerpunkt auf dem Einsatz der Luftschiffe gelegen, so sollte sich dies spätestens mit der Einführung der damals Phosphor-Munition genannten Leuchtspurmunition ändern. Das deutsche Heer stellte seinen Luftschiffbetrieb 1917 ein, nachdem die Verluste ein exorbitantes Niveau erreicht hatten. Die Marine führte ihre gleichfalls zunehmend verlustreichen Unternehmungen noch bis zum Tode des ‚Führers der Luftschiffe‘ Strasser weiter; er kann als der spiritus rector des moral bombing gelten.“

Als die Flieger immer höher steigen konnten, flexibler, wendiger und stabiler wurden, optimierten die Zeppeliner die Luftschiffe zu sogenannten „Höhenkletterern“, wie Douglas H. Robinson sie bezeichnet.

Im letzten Kriegsjahr wurden die Schwächen des Luftschiffes immer offensichtlicher: sie waren große Ziele, die leicht beschossen werden konnten. Durch den hochexplosiven Wasserstoff wurden sie in Sekundenschnelle vernichtet und durch ihre „Wetterprobleme“ konnten sie oft nicht eingesetzt werden.

Auch war die Lage der Standorte an Nord- und Ostsee insofern problematisch, da dort oft stürmisches oder zumindest windiges Wetter herrschte, was das Aushallen der Luftschiffe oft unmöglich machte. Die Marine-Luftschiffer mussten sich die Kritik gefallen lassen, eine „Schönwetterwaffe“ (Robinson) zu verwenden.

Weshalb die Flugzeuge zunehmend effektiver für den Krieg eingesetzt werden konnten, beschreibt der Militärhistoriker Günther Hebert im Standardwerk „Zeppelins Flieger“:

„Flugzeugpiloten konnten kurzfristig ausgebildet werden, die Maschinen waren schneller und billiger herzustellen und somit dem jeweiligen technischen Stand besser anzupassen; veraltete Luftschiffe mussten hingegen ‚aufgebraucht‘ werden. Zu Start und Landung genügte dem Flieger ein Acker und einige Soldaten, es wurden nicht, wie bei Luftschiffen, riesige Hallen und ganze Kompanien benötigt.“ 

Das schnellste Kriegsluftschiff
Dessen ungeachtet hielt Korvettenkapitän Peter Strasser, der „Führer der Luftschiffe“, bis zu seinem Tod unbeirrt am Waffensystem Luftschiff fest. Besondere Hoffnungen setzte Strasser in den neuen LZ 70, der eine Gipfelhöhe von 6.000m erreichen konnte.

Kapitän Ernst A. Lehmann hatte L 70 im Juni 1918 an die Marine übergeben und berichtet:

„Es war das schnellste Luftschiff, das wir im Kriege bauten, 62.200 Kubikmeter groß, und kam mit seinen sieben Maybach-Motoren leicht auf 130 Kilometer in der Stunde. […] Kommandant des L 70 wurde Kapitänleutnant Loßnitzer, der nach mir den LZ 120 geführt hatte.

Fregattenkapitän Strasser war am Bord, als L 70 am 5. August zusammen mit vier weiteren Zeppelinen zu einem Geschwaderangriff auf die großen Munitionsfabriken aufstieg.“

„Reise des Grauens“
Kommandant Prölß und seine Mannschaft fuhren auf L 53, auf L 65 hatte Kapitänleutnant Dose das Kommando. Die drei Zeppeline waren in Nordholz gestartet, flogen zuerst parallel und später in V-Formation mit L 70 an der Spitze.

Von Ahlhorn aus startete L 63 und in Wittmundhaven L 56.

Die Zeppeline L 53, L 65 und L 70 hatten England schon fast erreicht und mussten nur noch rund 30 Seemeilen zurücklegen. Sie wussten nicht, dass sie von den Engländern bereits erwartet wurden.

Von Great Yarmouth aus waren verschiedene Flugzeuge gestartet, drei davon flogen auf das offene Meer hinaus, um die Zeppeline abzufangen.

Kapitän Lehmann:

„L 70 stand auf 5.200 Meter, als er von einem Flugzeug des neuen Typs DH 4 gesichtet wurde. Es gelang dem Piloten, ebenso hoch zu steigen und den Zeppelin von vorn anzugreifen.“

Robinson schildert die weiteren Ereignisse:

„Am Steuerknüppel saß Major Egbert Cadbury, der an der Vernichtung von L 21 beteiligt war. Sein Beobachter war Captain Robert Leckie, der jenes Flugboot geführt hatte, das für den Absturz von L 22 verantwortlich war.“

In einer der beiden begleitenden, etwas kleineren Maschinen des Typs D.H.9 flog Captain C.S. Iron. In seinem Bericht ‚“The Last of the Zeppelins“ von 1936 erinnert sich der Augenzeuge:

„Die Dunkelheit hatte uns verschluckt, unsere Jagdbeute jedoch stand deutlich sichtbar vor dem verblassenden Glühen, das sich noch am Abendhimmel hielt; sie war deutlich über uns zu erkennen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir nicht nur einen, sondern drei Zeppeline in Sicht. Wir waren kontinuierlich im Steigflug geblieben, und als wir gerade zur Erledigung unserer Aufgabe ansetzten, kamen noch zwei Angreifer in Sicht. Da waren sie, drei Zeppeline in Dwarslinie*, ihre Nasen zeigten landeinwärts. Sie warteten offensichtlich auf einen zuvor festgelegten Zeitpunkt, um ihre Reise des Grauens zu beginnen.

Mit Sicherheit hatten sich die Kommandanten der Zeppeline verfranzt. Starke Luftströmungen in großer Höhe hatten sie wahrscheinlich weit nach Süden, weg von ihrem ursprünglichen Treffpunkt, abgetrieben. […]

Sie [waren] buchstäblich über ein Hornissennest getrieben worden… Mit fast schon schmerzhafter Langsamkeit stiegen wir die noch fehlenden 300 Meter bis auf Höhe unseres Zieles und mussten dabei unsere rasende Ungeduld zügeln. Plötzlich starrten wir verwundert in Richtung einer aufsehenerregenden Metamorphose. Ein kleiner Feuerball war im Heckbereich unseres Zeppelins erschienen; mit erstaunlicher Geschwindigkeit wuchs dieser zu einer glühenden Lohe; wenige Sekunden später konnten wir sehen, dass der gesamte achtere Teil des Zeppelins lichterloh in Flammen stand. Wir waren von jenem Spektakel eines brennenden Schiffes wie gebannt und beobachteten, wie sich das Feuer weiterfraß. Unsere Beute begann sehr langsam über das Heck zu sinken, und wir konnten erkennen, wie die Flammen nach oben und vorn zum Bug hin züngelten. Eine vertikale Bewegung, die von dem sinkenden Heck verursacht worden war, entfachte die Glut über die gesamte Schiffslänge hinweg. Wenige Sekunden später war das Schicksal des Luftschiffes besiegelt. Der Zeppelin war von einem Ende zum andern in einen brüllenden Hochofen verwandelt worden.“

(*D.h. sie fuhren parallel nebeneinander.)

Als Major Iron sah, wie L 70 verbrannte, war für die Engländer noch nicht klar, dass der Führer der Luftschiffe mit an Bord gewesen war. Das kam erst heraus, als das Wrack von englischen Seeleuten geborgen wurde und Strassers Leiche entdeckt wurde. Außerdem fanden die Engländer zahlreiche Dokumente, technische Detailinformationen über die Zeppeline sowie militärische Unterlagen.

Die Toten, die geborgen werden konnten, erhielten eine Seebestattung, da die örtliche Bevölkerung die Beerdigung auf ihrem Friedhof ablehnte.

Heldentod
In Deutschland herrschte nach Strassers Tod große Betroffenheit und Admiral Scheer würdigte den Verstorbenen in seinem Nachruf:

„Das Luftschiff, von Graf Zeppelin mit Erfindergeist und zähem Ausharren geschaffen, ist von Fregattenkapitän Peter Strasser als Führer der Luftschiffe in nie erlahmendem Schneid, allen Rückschlägen zum Trotz, zu einer scharfen Angriffswaffe gestaltet. Der Geist, der auf vielen Angriffsfahrten in seiner Waffe großgezogen und hochhielt, hat er nun mit dem Heldentod über England besiegelt. Wie Graf Zeppelin fortleben wird in des dankbaren deutschen Volkes Gedächtnis, so bleibt unvergessen Fregattenkapitän Strasser, der die Luftschiffe zum Siege geführet.“

Mit seiner Einschätzung irrte sich Admiral Scheer, denn Peter Strasser ist im Gegensatz zu Graf Zeppelin nur noch militärhistorisch Interessierten ein Begriff.

Kurz nach dem Abschuss des L 70, am 11. August, wurde L 53 von den Engländern bei Terschelling brennend abgeschossen. Kommandant Prölß und seine Männer kamen ums Leben.

Peter Strassers Nachfolger wurde Korvettenkapitän Hans-Paul Werther. Er war der Ansicht, dass ein noch größerer Zeppelin gebaut werden müsse, der bis auf 8.000 Meter Höhe steigen könne.

Doch bereits am 16. August wurde in Nordholz von Franz Ritter von Hipper, dem neuen Chef der Hochseestreitkräfte, eine Sitzung einberufen, auf der die Zukunft des Luftschiffes diskutiert wurde. Es wurde beschlossen, Luftschiffe nur noch bei Bedarf zur Luftaufklärung zu verwenden.

Im Prinzip war es zu diesem Zeitpunkt schon klar, dass das Luftschiff als Waffe ausgedient hatte. Die letzten noch im Bau befindlichen Zeppeline L 71 und L 72 wurden zwar fertiggestellt, machten aber keine Angriffsfahrten mehr.

Kriegsende
Für die Marine-Luftschiffer endete der Krieg ohne weiteres Blutvergießen: Am 9. November wurden die Luftschiffe in Nordholz aufgehängt und das Gas abgelassen.

Während Soldaten und Arbeiter die Macht übernahmen, schildert Robinson die meisten der Luftschiffer als treue Anhänger des untergegangenen Kaiserreichs:

„Mit wenigen Ausnahmen blieb das Bordpersonal der Marine-Luftschiffer-Abteilung seinem Kaiser treu bis zum bitteren Ende. Unter den Angehörigen der Bodenmannschaften jedoch waren Unzufriedenheit und Fälle von Insubordination häufiger anzutreffen.“

Am 11. November 1918 wurde der Waffenstillstandsvertrag unterzeichnet. Die Zukunft der Luftschiffe wurde in Paragraph XXVI behandelt:

Es sollten „sämtliche Marineluftfahrzeuge […] in deutschen Stützpunkten konzentriert und unbrauchbar gemacht werden, um einzeln von Vertretern der Alliierten und den Vereinigten Staaten von Amerika erfasst zu werden“.

Während des Krieges starben ungefähr genauso viele englische Zivilpersonen durch die Luftangriffe wie deutsche Luftschiffer. Robinson zählt auf:

„Bei 51 Angriffen auf England (einige davon durch Heeresluftschiffe) wurde der Abwurf von 5.806 Bomben mit einem Gesamtgewicht von rund 196 Tonnen verzeichnet. 557 Personen wurden getötet und 1.358 verletzt. Der Sachschaden belief sich auf insgesamt 1.527.585 Pfund.“

Waren die Luftschiffe aus militärischer Sicht in den letzten beiden Kriegsjahren nur mäßig erfolgreich gewesen, wurde jedoch der psychologische Effekt auf die Engländer umso höher eingestuft: Durch den Luftkrieg war das kollektive Gefühl, auf den Britischen Inseln unverwundbar zu sein, zerstört worden. Wegen der zivilen Opfer wurden die Zeppeline damals in der britischen Presse und im Volksmund als „Babykiller“ bezeichnet.

Auch heute noch wird der Zeppelin in Großbritannien, Frankreich oder Belgien als Angriffswaffe betrachtet, während in Deutschland ein anderes Bild vorherrscht. Wolfgang Meighörner:

„Es ist verwunderlich: das Image der Zeppelin-Luftschiffe ist primär zivil besetzt und in der landläufigen Erinnerung durch die silbernen Giganten der Zwischenkriegs-Ära dominiert, obwohl de facto von den 119 je gebauten Luftschiffen der Firma Luftschiffbau Zeppelin GmbH letztlich 110 für militärische Zwecke genutzt worden sind.“


Verwendete Literatur: Günther Hebert: „Luftschiff oder Flugzeug? Der Systemwechsel bis 1918“ in: Zeppelins Flieger, 2006 / Ernst A. Lehmann: Auf Luftpatrouille und Weltfahrt, 1936 / Wolfgang Meighörner: „Auf der Suche nach der Dritten Dimension – Entwicklungslinien von Luftschiff und Flugzeug in Deutschland“ in: Zeppelin und Frankreich. Szenen einer Hassliebe, 1998 / Wolfgang Meighörner: „Abwehrbewaffnung in Luftschiffen“ in: Wissenschaftliches Jahrbuch 1999 der Zeppelin Museum Friedrichshafen GmbH / Douglas H. Robinson: Deutsche Marine-Luftschiffe 1912-1918

2 Antworten auf „Das Ende der „Babykiller““

  1. Danke für diesen interessanten Bericht, bei der Auflistung der Namen der Kriegs Luftschiff Kommandanten ist auch Hugo Eckener aufgeführt. Frage, ist Dr. Eckener an Feindfahrten aktiv beteiligt gewesen? Wenn ja an welchen, mit welchen Auswirkungen für den ‚Feind‘.

    Ich bedanke mich für die Beantwortung dieser Fragen, Sven Beham

    1. Lieber Herr Beham,

      Hugo Eckener war im 1. WK Ausbilder für Marine-Luftschiffbesatzungen, hatte einen entsprechenden Dienstvertrag mit dem Reichsmarineamt und bekleidete in dieser Zeit den Rang eines Korvettenkapitäns. Er war jedoch offenbar nicht in die Militärhierarchie und -struktur eingebunden, sondern verblieb im Status eines Zivilisten.

      In seinen 1949 veröffentlichten Erinnerungen „Im Zeppelin über Länder und Meere“ schreibt Eckener sehr kurz über diese Zeit:
      „So meldete ich mich bei Ausbruch des Krieges beim Reichsmarineamt als ‚kriegsfreiwilliger‘ Luftschiffführer, in der Hoffnung, als Kommandant eines Marineluftschiffes verwendet zu werden. In der Tat nahm das Marineamt mein Dienstanerbieten an und verpflichtete mich als ‚Instrukteur‘ zur Ausbildung von Marineluftschifführern. Als solcher hatte ich theoretischen Unterricht zu erteilen und auf Schulungsfahrten eine praktische Ausbildung vorzunehmen. Dann und wann wurden diese Ausbildungsfahrten in den Frontdienst einbezogen, indem ein Abschnitt der Nordsee dem Schulschiff als Aufklärungsgebiet zugeteilt wurde.“
      In der Biografie von Rolf Italiaander in: Ein Deutscher namens Eckener“ sind im Kapitel „Ein Zivilist bildet Marine-Luftschiffer aus“ (S. 124 – 179) einige Briefe Eckeners aus dieser Zeit wiedergegeben. Hier berichtet Eckener z.B. über eine Aufklärungsfahrt mit dem Marineluftschiff L 9 am 19.03.1915 (S. 134-137).

      Es handelte sich demnach um Aufklärungsfahrten zum Schutz der eigenen Schiffsverbände, die bis in die Nähe der englischen Küste führen konnten. Bei Einsätzen zum Bombenabwurf scheint Eckener aber nicht teilgenommen zu haben.

      Wir hoffen, Ihnen damit weitergeholfen zu haben!
      Ihr Museumsteam

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