Es gilt herauszufinden, wo sich das beziehungsweise die Kunstwerke in der Zeit des Zweiten Weltkrieges befunden haben, wer sie besessen, weiterkauft, verloren hat oder wem sie im Zweifelsfall gestohlen worden sind. Zentral ist hierbei die Frage, ob es sich um NS-Raubkunst handelt, denn ein paar Kunstwerke, die nach dem Krieg in das neu eröffnete Museum kamen, haben Lücken in ihrer Vorgeschichte.
Aus diesem Grund wurde begonnen, die Hintergründe von knapp 400 Werken im Zeitraum zwischen 1933 und 1945 genauer zu untersuchen, also die Provenienzen zu überprüfen. In der aktuellen Ausstellung „Eigentum verpflichtet. Eine Kunstsammlung auf dem Prüfstand“ ist es daher möglich, einmal einen Blick auf die Rückseite einer Auswahl von Gemälden und Skulpturen zu werfen. Eingeteilt durch Punkte in grün, gelb und orange wird jeweils gezeigt, ob das Werk eine klare, lückenhaft oder kritische Vorgeschichte hat.
Doch auf keinen Fall darf man die Vorderseite vergessen, denn ansonsten entgeht einem die Skulptur, die bereits seit 1955 im Besitz des Museums ist. Sie erzählt eine über 1700 Jahre alte Geschichte, die einen Jungen von einer italienischen Insel in ganz Europa bekannt machte.
Es ist eine Geschichte, die das Werk eines unbekannten Künstlers um 1500 vielleicht noch einmal in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. Und keine Sorge, es handelt sich bei der Skulptur des „Heiligen Vitus im Kessel“ um ein Kunstwerk mit lupenreiner Provenienz. Einen grünen Punkt für dich, mein lieber kleiner St. Vitus. Und die volle Aufmerksamkeit darauf, was man wohl als eine ziemlich mutige Lebensgeschichte bezeichnen kann.
Der römische Junge und das Christentum
Über das Dasein der Person Vitus ist nicht besonders viel bekannt und historisch gesichert. Laut überlieferten Schriften wird er um das Ende des dritten Jahrhunderts herum als Sohn heidnischer Eltern auf Sizilien, in dem heutigen Mazara del Vallo, geboren. Einflüsse in seiner Kindheit sind zu einem großen Teil die Amme Crescetia und sein Erzieher Modestus, die ihm das Christentum, eine zu dieser Zeit als staatsfeindlich eingestuften Religion, näherbringen.
Als Vitus Vater, der römische Senator, davon erfährt, wird er wütend und versucht alles in seiner Macht Stehende, um seinen siebenjährigen Sohn von dessen neuem Glauben abzubringen. So führt er seinen Sohn bei Gericht vor, wo er zu Schlägen und Hieben verurteilt wird, die er aber nie zu spüren bekommt, da den Knechten die Arme verdorren. Ein anderes Mal versucht er ihn mit der Hilfe junger, tanzender Mädchen zu verführen und erblindet, als er ihn dabei durch das Schlüsselloch beobachtet.
Die Reaktion des jungen Vitus auf die scheiternden Versuche seines Vaters fällt allerdings ganz anders aus als zunächst erwartet werden könnte. Statt die Menschen, die ihm seinen Glauben austreiben möchten damit zu bestrafen, dass er sie in ihrem Elend alleine lässt, heilt er sie.
Kaiser, Raubkatzen und Kessel
Trotz oder gerade wegen der Wunder, die Vitus vollbringen kann, steigert sich die Wut des Vaters noch einmal. Der junge Vitus flieht, angeleitet von einem Engel, mit seiner Amme und seinem Erzieher auf einem Schiff nach Lukanien. Auf der Reise wird er von einem Adler mit Brot versorgt.
Es ist schließlich der Kaiser Diokletian, der ihn nach Rom ruft, um seinen besessenen Sohn zu heilen. Vitus weigert sich jedoch die Götter anzubeten und muss mit seinen beiden Begleitern ins Gefängnis. Um den Zwölfjährigen zur Umkehr zu bewegen, lässt der Kaiser mehrere Foltermethoden anwenden. Unter anderem lässt er einen Löwen, der ihn attackieren soll, los. Dieser legt sich allerdings brav zu seinen Füßen. Oder den bekannten Kessel mit heißem Öl, aus dem er ohne eine Verletzung heraustritt.
Der Legende nach sollen die drei anschließend von einem Engel zurück in den Hafen von Lukanien gebracht worden und betend am Ufer des Flusses Sele im Jahre 303/4 gestorben sein. An dieser Stelle steht noch heute die im Jahre 1176 errichtete Kirche „Chiesa di San Vito Martire“.
Von Sizilien bis Prag
Nach seinem Tod beginnt sich die Historie des mutigen, gläubigen Jungens und seines Martyriums schnell von der italienischen Insel über Oberitalien, Frankreich und Deutschland auszubreiten. Um 600 wird seine Geschichte aufgeschrieben und verbreitet, ebenso wie seine Knochen, die als Reliquien in verschiedene, auch heute noch bekannte Klöster und Abteien gelangen. So sind beispielsweise das Kloster St. Denis, die Abtei in Corvey und der Veitsdom in Prag in Besitz seiner Überreste. Eine Besonderheit ist der geschichtsträchtige Dom in der tschechischen Hauptstadt, der auf Basis einer Armreliquie des Heiligen errichtet wird und sogar dessen Namen trägt.

Der offizielle Name lautet Dom Kathedrale der Heiligen Veit, Wenzel und Adalbert und befindet sich als größtes Kirchenbauwerks Tschechiens auf der Prager Burg. Die Besonderheit dieses Bauwerks ist wohl die Baugeschichte, die man etwa bis zum 10. Jahrhundert auf den Heiligen Wenzel zurückführen kann. Er beginnt im Jahre 925 damit, eine Rotunde zu errichten, ein Bauwerk mit kreisförmigen Umriss. Etwa 150 Jahre später folgte eine Basilika und mit Karl IV. bekommt das Bauwerk sein heutiges Aussehen. Ganz fertig gestellt wird der Bau allerdings erst 1929 durch den tschechischen Architekten Kamil Hilbert und dem Hof- und Steinmetz Joseph Kramer.
Neben dem imposanten und langwierigen Bauwerk sind insgesamt 1300 Kirchen dem Heiligen geweiht und 150 Orte im Besitz von Reliquien. In der serbischen Geschichte bildet der Veits-Tag, der Vidovdan, den Gedenktag an die Schlacht zwischen den Serben und Osmanen im vierzehnten Jahrhundert.
Der Schutz für Bierbrauer
Aus dem lateinischen übersetzt bedeutet Vitus „lebensvoll“, ein ähnlicher Begriff ist auch Vita, also „Leben“. Bezogen auf das Schicksal des jungen Vitus ist es ein absolut passendes Bild, welches die mutige Lebensart des 12-jährigen Kindes unterstreicht und zeigt, welchen Mut und welche Klugheit dieser junge Mensch im Laufe seines Lebens im Umgang mit seinen Mitmenschen, insbesondere seines Vaters, gezeigt hat. Hinzu kommt die lange Liste seiner Patronate, die erkennen lassen, dass auch hier das Leben und Überleben im Allgemeinen im Vordergrund steht.
Veit ist einer der 14 Nothelfer und eint über 30 Patronate für die verschiedensten Lebenslagen, Berufs- und Altersgruppen. Beispiele sind der Schutz für Bierbrauer, Schmiede und Schauspieler, gegen Unwetter und Feuergefahr, bei der Aussaat und der Ernte.
Besondere Bedeutung erhält sein Beistand in Notlagen und Krankheiten, wie Tollwut, Schlangenbisse und dem nach ihm benannten Veitstanz. Diese Erkrankung der Nerven, auch Chorea genannt, zeigt ähnliche Symptome wie eine Epilepsie und bezeichnet eine Organschädigung des Zentralnervensystems.
Über Raben und Adler
Neben den zahlreichen Schutzpatronaten, sind auch die Attribute, mit denen St. Vitus dargestellt wird, vielfältig.
Darstellungsweisen sind zum Beispiel der Löwe zu seinen Füßen, ein Adler oder Rabe. Auch der Hahn, der im Bezug zum heidnischen Gott Svantovit steht, dem Hühner und Hähne geopfert wurden und den der Junge von Sizilien bei den Pommern ersetzte. Außerdem wird St. Vitus unter anderem mit einem Hund an der Leine, einem Topf, einer Märtyrerpalme oder einem Buch in der Hand abgebildet.
Zu sehen an der ausgestellten Figur in „Eigentum verpflichtet. Eine Kunstsammlung auf dem Prüfstand“ ist die Darstellung des jungen Märtyrers mit nacktem Oberkörper in einem Kessel, auf dem rote Flamen zu erkennen sind. Es ist der Kessel mit heißen Öl beziehungsweise Pech, in den er von Kaiser Diokletikan auf Grund seines Glaubens geworfen wurde.
Ein zwölfjähriger Junge, der sich für seine Religion einsetzt, großen Mut beweist und damit bis heute in ganz Europa bekannt ist. Als Heiliger verehrt, ist und bleibt er ein Symbol für ein starkes, bedeutsames Leben und inspiriert viele Gläubige des Christentums. Wer würde darauf kommen, was sich alles hinter einer so unscheinbaren Figur verbergen kann, wenn man sie nur als kleiner Teil einer großen Ausstellung betrachtet. Ich selbst habe dem Jungen in einem Kessel bei der ersten Besichtigung nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Aber die Skulptur des kleinen Vitus ist zu einer Inspiration geworden, die zeigt, dass es sich lohnt auch einmal einen genaueren Blick auf das zu werfen, was vermeintlich nur einen unscheinbaren Hintergrund hat – sei es von der Rück- oder der Vorderseite.
Julia Hänsler hat 2017 ihr Abitur in Wangen im Allgäu absolviert und danach neben zwei Monaten als Reisenomadin auf den Trampelpfaden dieser Welt, ihre Zeit mit verschiedenen Praktika verbracht. Zuletzt war sie von Mai bis Juni Praktikantin der Abteilung Kommunikation im Zeppelin Museum. Ab Herbst will sie ihrer Kreativität gerne entweder in einem Studium der Theater- und Medienwissenschaften oder im Fashionmanagement freien Lauf lassen.