Ausverkauftes Haus beim Internationalen Bodensee-Symposium von ICOM Deutschland, Schweiz und Österreich vom 21.bis 23. Juni 2018 im Zeppelin Museum. Zum Thema „Museum ausreichend – Die „untere Grenze“ der Museumsdefinition“ fanden sich über 200 Mitglieder unter der Teilrekonstruktion der Hindenburg ein, um dieses brisante Thema zu diskutieren. Sie stellten sich unter anderem den Fragen, ob in Museen alles möglich ist, was gefällt und finanziert wird, oder nicht? Gibt es Wissensbestände und Leistungen, die man von jedem Museum erwarten darf – ganz gleich, wer der Eigentümer ist, welche Aufgaben das Museum erfüllt, wie viel Kapital und Personal zur Verfügung stehen?
Dr. Claudia Emmert, Direktorin des Zeppelin Museums, begrüßte am Donnerstag die Gäste und hielt den ersten Impulsvortrag „Cross-Lines. Das Museum der Zukunft als Transferprojekt – Gedanken zur Neukonzeption des Zeppelin Museums“:
Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Waentig, sehr geehrte Frau Schuppli, sehr geehrte Frau Dr. Spera, sehr geehrter Herr Bürgermeister Köster;
liebe Referentinnen und Referenten,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich freue mich, Sie als Gastgeberin des diesjährigen Bodensee-Symposiums von ICOM Deutschland, ICOM Österreich und ICOM Schweiz in unserem Museum begrüßen zu dürfen.
Es ist uns eine Ehre, Ausrichter dieser hochkarätigen Veranstaltung zu sein und wir werden alles tun, damit Sie sich für die Dauer der Tagung – und auch darüber hinaus – bei uns und am Bodensee wohlfühlen werden.
Ich bin gespannt, wie wir in den nächsten zwei Tagen über unser Selbstverständnis als MuseumsleiterInnen und KuratorInnen, als KulturforscherInnen und als KulturvermittlerInnen diskutieren und dabei Mindestkriterien zur Definition von Museen erarbeiten werden.
Ich darf Ihnen – und natürlich auch mir – einen anregenden und diskursiven Kongress wünschen und möchte die Gelegenheit nutzen, Sie zu Beginn mit unseren grundsätzlichen Überlegungen zur Weiterentwicklung des Zeppelin Museums vertraut zu machen.
Es geht mir dabei nicht um eine konkret inhaltliche, regionale oder ortsspezifische Diskussion. Es geht mir vielmehr um eine mögliche Antwort auf die aktuelle Situation der Museen. Unter Berücksichtigung der Veränderungen, die unsere Zielgruppe, nämlich die gesamte Gesellschaft betreffen. Es geht mir aber auch um die Diskurse der Politik, der Kulturpolitik und natürlich um unseren Binnendiskurs der Kultur und der Kunst. Diese betreffen wiederum die Weiterentwicklung der Öffentlichkeitsdiskurse, mit gesellschaftlicher Teilhabe und politischer Partizipation und um die Tatsache, dass jeder heute zum Sender geworden ist – und viele gleichzeitig in ihrer Echokammer, in ihrer Filterblase gefangen sind – mit entscheidenden Konsequenzen für die großen öffentlichen Debatten, die unsere Gesellschaft prägen.
6.712 Museen zählte das Institut für Museumsforschung im Jahr 2016 in Deutschland. In der Vergangenheit gab es Diskussionen darum, ob das nicht etwa zu viele wären. Ob es nicht besser wäre, die großen zu stärken, statt viele kleine mit zu alimentieren. Dieser Vorstoß der Staatsgalerie Stuttgart führte zu durchaus kontroversen Diskussionen.
Doch eigentlich ist diese Frage falsch gestellt. Denn es geht nicht darum, wie viele Museen benötigt werden, sondern mit welchen Inhalten und Diskursen sich die Häuser der Öffentlichkeit stellen. Mit welchen Themen fordern sie ein regionales, nationales oder internationales Publikum heraus?
In einer Zeit der ausufernden Gegenwart ist das beherrschende Thema die Jetzt-Zeit. Dem versuchen neue Häuser auf ganz unterschiedliche Weise gerecht zu werden:
Heilbronn baut derzeit einen Neubau für sein Science Center mit dem Namen Experimenta, in dem, wie es in der Ankündigung heißt: neun Labore, ein Science Maker Space, Talentexponate zum Erkunden der persönlichen Stärken, und eine Experimentalbühne“ den aktiv geforderten BesucherInnen zur Verfügung stehen.
In Berlin eröffnet demnächst das Futurium. Dort stellt man sich die Frage: Wie wollen wir leben? Welche Herausforderungen und Chancen sind mit künftigen Entwicklungen verbunden? Wie können Wissenschaft und Forschung zum Verständnis und zur Gestaltung dieser Entwicklungen beitragen?
In Stuttgart eröffnete jüngst das Stadtpalais, ein Museum zur Stadtgeschichte mit einem klaren Schwerpunkt auf der Gegenwart. In einem Aufruf auf der Internetseite des Museums kann man lesen: „Wir suchen Erinnerungsstücke und Dinge, die davon erzählen, wie aus einer fremden Stadt / Stuttgart zu einer für Sie vertrauten Umgebung, zu einer Heimat, wurde.“ So beginnt die Dauerausstellung auch mit Exponaten, die in besonderem Maße eine emotionale Verbundenheit mit der Stadt stiften.
In Mannheim wurde vor Kurzem der Erweiterungsbau der Kunsthalle eröffnet. Ulrike Lorenz hat die Chancen ihres neuen Hauses, im Orchester der großen internationalen Kunstmuseen eine wichtige Stimme zu sein, wie folgt zusammengefasst:
„Zum Glück sind wir nicht die Nationalgalerie: Wir haben nicht die Verantwortung, Kunstgeschichte nachzuerzählen. Wir dürfen ein offeneres, lebendigeres und unkonventionelleres Haus sein. Und das wollen wir nutzen. Ich muss also nicht die bekannten Meistererzählungen liefern, sondern kann unsere hundertjährige Sammlung, (…) auf ihre Relevanz für Menschen heute prüfen.“
Alle genannten Einrichtungen möchten einem internationalen Publikum immer wieder neue Vorschläge zur Lesbarkeit von Geschichte und Gegenwart unterbreiten. Ein Museum in Bewegung lautet beispielsweise das Schlagwort in Mannheim.
Was die unterschiedlichen Häuser auf jeweils eigene Weise zu lösen versuchen, wurzelt in der grundlegenden Veränderung unserer Wissensgesellschaft. Die Welt wandelt sich rasant, und mit ihr unsere Wahrnehmung, unser Sehen und Hören, unser Denken und Empfinden. Erzählungen werden fragmentiert, Handlungsräume werden erweitert, Perspektiven, vor allem die eurozentristischen, werden aufgelöst oder zumindest verändert, Disziplinen miteinander verschränkt.
Es geht, um mit Dorothea von Hantelmann zu sprechen, heute vor allem darum, die Trennungen der modernen Ordnung, etwa zwischen Gesellschaft und Natur, Geist und Materie, Theorie und Praxis zu überwinden. Ziel ist es, wie sie sagt, in den Modalitäten von Verbindungen und Wechselwirkungen zu denken.
Besonders im Hinblick auf diese Aspekte haben sich die Anforderungen an Museen in den letzten Jahrzehnten stark verändert. In der Folge wandelten sie sich von einem Tempel, in dem die Hochkultur gefeiert wurde, zum kühlen White Cube als intellektuellem Distanz- und Denkraum, weiter zum Möglichkeitsraum, zum Handlungs- und Diskursraum, zum Forum, zum Ort der Beteiligung, zum individualisierten Ereignisraum.
Wir leben in einer Zeit, in der substantielle Identität als wesentlicher Faktor im gesellschaftlichen Diskurs ausgemacht werden kann. Es geht um Selbstbefragung, und die Verortung von Authentizität in verschiedenen Kontexten.
Die großen abgeschlossenen Erzählungen werden heute vor allem auf ihre Bedeutung für die Gegenwart – oder genauer, für die einzelnen Menschen, die unsere Gegenwart ausmachen, hin durchpflügt und fließen in eine nicht abgeschlossene, sich immer wieder neu ausbildende Narration der Industriekultur 5.0 ein.
Die Frage lautet also: Wie können Museen heute noch einen gesellschaftlich relevanten Beitrag leisten?
Dazu möchte ich in aller Kürze 3 Aufgabenbereiche ansprechen, die für uns eine große Rolle spielen.
1: Den Diskurs mit der Politik ändern.
Wir erleben seit einigen Jahren – und das wird ja auch ein Thema dieser Tagung sein -, dass viele unserer Institutionen immer stärker unter den Druck der „Einschaltquote“ geraten. Die Politik fordert, dass wir Jahr für Jahr die Besucherzahlen nach oben schrauben. Denn die Eintrittsgelder sind eine wesentliche Einnahmequelle, die die Kosten für die Wechselausstellungen rechtfertigen müssen. Der „Zuschuss pro Besucher“ ist eine zentrale Marge für die Beurteilung des Erfolgs eines Hauses. Häufig geht es in den Gesprächen mit der Politik, mit Aufsichts- und Stiftungsräten daher um Quantitäten, statt um Qualitäten.
Eine Entwicklung, die symptomatisch auch die Feuilletons erfasst hat. In zahlreichen überregionalen Tageszeitungen existiert gar kein informiertes, sachkundiges und diskursives Feuilleton mehr. Durch die Schrumpfung der Feuilletons wird auch diese Bastion des öffentlichen Qualitätsdiskurses geschleift. Und Politik reagiert auf Medien.
Der in Schieflage geratene Diskurs treibt manchmal seltsame Blüten, wie etwa den bereits erwähnten Vorschlag, die Anzahl der Museen zu reduzieren, und das finanzielle Engagement der Politik auf wenige große Häuser zu konzentrieren, ebenso natürlich wie das Interesse der kulturreisenden BesucherInnen. Ich finde diesen monopolistischen Ansatz keineswegs zielführend.
Wir müssen es daher schaffen, den Diskurs mit der Politik neu aufzusetzen: über Qualität, über Themen, über Relevanz und vor allem über gesellschaftliche Verantwortung.
2: Den Diskurs mit den Menschen ändern.
Wir senden, die BesucherInnen empfangen. Und wer nicht so gut empfangen kann, bei dem helfen wir mit Vermittlung nach. So schön einfach war das einmal. Ein Rückkopplungskanal? Fehlanzeige. Bestenfalls im Gästebuch. Doch wir müssen selbstkritisch feststellen: Diese Welt ist von gestern.
Im interaktiven Zeitalter erwarten die BesucherInnnen einen Dialog. Und nicht nur das: Sie erwarten diesen Dialog auf Augenhöhe. Alle Interessierten möchten eigene Erfahrungen, eigenes Wissen, Wünsche, Bewertungen und Einschätzungen bei uns einspeisen können. Sie möchten, dass wir das Eingespeiste weiterverarbeiten. Und – verarbeitet – wieder zurückgeben.
Doch können wir das? Sind wir mit unseren hierarchisch durchgetakteten Strukturen offen genug und dafür aufgestellt? Mental, konzeptionell, prozessual, strukturell und organisatorisch?
Wir brauchen neue interaktive Formate, wir brauchen Kommunikations- und Austauschplattformen, die freigehalten werden von den schnellen Bewertungsmechanismen unserer Zeit und dadurch Raum schaffen für das Experiment öffentlicher Beteiligung.
Um diesen kommunikativen Anspruch an sich selbst zu dokumentieren, weichen museale Häuser immer öfter dem Museumsbegriff aus und verwenden andere institutionelle Selbstbeschreibungen, wie etwa die des Forums.
Daran schließt sich mein dritter Punkt an:
3: Den Diskurs zu den Themen ändern.
Noch vor zehn Jahren bedeutete der Besuch einer Barockausstellung, um ein beliebiges Beispiel zu nennen, das Eintauchen in eine andere, in sich abgeschlossene, ikonographisch, wissenschaftlich und historisch durchdrungene Zeit. Heute wird man in einer Barockausstellung vorwiegend das Zeitgenössische suchen, den Anschluss an unsere Lebenswelt und an unsere Bildersprache. Wir wollen unsere Verwandtschaft mit dieser Zeit entdecken, ihre Modernität, ihr innovatives Potential.
Deutlich konnte das beispielsweise auf den Social-Media-Kanälen des Städel Museums während der Rubens-Ausstellung verfolgt werden, die vor wenigen Wochen endete.
Unsere Zeit ist in starkem Maß mit sich selbst beschäftigt, sucht im Rückblick auf die Geschichte vor allem Anschlussfähigkeit und Deutungs-Relevanz für die Gegenwart. Dies hat zur Folge, dass wir, statt die Möglichkeit zur Distanzierung zu bieten, wie das in den Museen üblich war, heute vor allem Nähe erzeugen müssen. Und wir müssen uns fragen, in welchen Diskurs-, Handlungs- und Erlebnissphären wir diese Nähe ermöglichen können.
Immersion, also das Erlebnis einer „Welt ohne außen“, wie es im Martin Gropius Bau Berlin so treffend betitelt wird, ist nicht nur ein Schlagwort, sondern ein zentrales Bedürfnis unserer Gesellschaft. Daher müssen die neuen Handlungsräume unserer Zeit von den Museen besetzt werden, und die alten Herrschaftshäuser des Wissens in einen individualisierten und interaktiven Ereignis- und Erfahrungsraum verwandelt werden.
Das bringt ein weiteres Schlagwort ins Spiel: Transdisziplinarität. Viele Jahre lang war es schwierig, das Zeppelin Museum mit seinen so verschiedenen Sammlungsschwerpunkten Technik und Kunst zu profilieren. Heute in einer Zeit, in der Innovationen nur dann stattfinden können, wenn Gattungsgrenzen aufgehoben und Disziplinen vereint werden, erscheint die Verbindung von Kunst und Technik mehr als einleuchtend. Artefakte, Biofakte, Anthropofakte, künstliche Intelligenz, Games, VR, AR, ASMVR gewinnen in der zeitgenössischen Kunst rasant an Bedeutung.
Auch der Ansatz von Chris Dercon, das Theater durch die Integration gattungsfremder Formate zu erneuern, war richtig. Die Tatsache, dass er mit seinem Weg in Berlin gescheitert ist, ändert daran nichts.
Alle Kulturschaffenden werden die Dualismen mit ihren Regelwerken der Trennung wieder überwinden müssen. Wir müssen transdisziplinäre Beziehungen und Wechselwirkungen mit ihren innovativen Potentialen sichtbar machen. Möglichkeiten der Beteiligung schaffen, Orte, an denen wir Nähe und Austausch zulassen, in Co-Working-Spaces, in Foren, die einer kontinuierlichen Veränderung unterliegen und Teilhabe möglich machen.
Daher wird sich das Museum unserer und der kommenden Zeit grundlegend von dem Museum unterscheiden, an das wir uns seit Jahrzehnten gewöhnt haben.
In dieser Phase des Experimentierens und Umbrechens, in der wir uns heute befinden, muss jedes Haus seine eigene, mutige Lösung finden. So auch das Zeppelin Museum.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.