Weltrekord, Würstchen und Operation „Albion“

Luftschiffnummerierungen können wirklich verwirren! Gutes Beispiel ist der Zeppelin LZ 90 / LZ 120. Dieses Militärluftschiff machte am 31. Januar 1917 seine Erstfahrt – nicht zu verwechseln mit dem LZ 60 / LZ 90. Dieser Zeppelin nämlich stieg bereits ein Jahr zuvor zum ersten Mal auf und war an der Westfront im Einsatz.

Weshalb gab es für die Zeppeline diese beiden Nummerierungen? Aus Tarnungsgründen und um den Feind zu verwirren, wurde ab der Baunummer LZ 42 bei den Heeresluftschiffen für die militärische Betriebsbezeichnung zur Baunummer die Zahl 30 addiert. Diese Verwirrungstaktik funktioniert übrigens bis heute…

LZ 120 wurde zuerst als Heeresluftschiff an der Ostfront eingesetzt. Ein Angriffsversuch auf St. Petersburg wurde abgebrochen. Anschließend fuhr es als Marineluftschiff und legte auf 17 Aufklärungsfahrten mehr als 35.000 km zurück.

Luftpatrouillen
In seinem Buch „Auf Luftpatrouille und Weltfahrt“ erinnert sich Kapitän Ernst A. Lehmann: „Seerappen, wo LZ 120 stationiert wurde, liegt in der Nähe von Königsberg und war Standort des Ostsee-Luftkommandos. Wir hatten die Aufgabe, täglich festzustellen, ob feindliche Seestreitkräfte unterwegs waren, überwachten die russisch-englische U-Boot-Station im Finnischen Meerbusen, suchten die See nach Minen ab und beobachteten die Handelsschiffe an der schwedischen Küste. (…) Kriegerische Zwischenfälle gab es nicht.“

Die Mannschaft hatte sich das Luftschiff gemütlich eingerichtet. Lehmann weiter: „Es gab jetzt Korbstühle, Bilder, Tischtücher und manchmal sogar frische Blumen an Bord. Auch benutzten wir die ruhige Zeit zu allerhand Versuchen, verbesserten die Radioanlage, trieben nautische Astronomie als Sport und übten uns in Wasserlandungen. Wir dichteten zu diesem Zweck die Gondeln ab, schafften uns Rettungsboote an und erprobten Vorrichtungen, um den Wasserballast direkt aus dem Meer zu schöpfen.“

© Archiv der Luftschiffbau Zeppelin GmbH

Weltrekord
Kapitän Lehmann beschloss den Versuch einer Dauerfahrt mit LZ 120 über der Ostsee, um herauszufinden, ob die Motoren und die Mannschaft eine Fahrt von über 100 Stunden bewältigen könnten.

Kurz vor Mitternacht des 26. Juli 1917, in einer sternklaren Nacht, stieg das Luftschiff zu seiner Testfahrt auf…

Kapitän Ernst A. Lehmann: „Sobald wir die offene See erreicht hatten, teilte ich die Maschinisten zur Bedienung der sechs Motoren, von denen wir die meiste Zeit nur drei, gelegentlich auch vier in Anspruch nahmen, in vier Wachen, die übrige Mannschaft in zwei. Die dienstfreien Leute schickte ich zu Bett, nur widerstrebend krochen sie in ihre auf den Laufgang verteilten Hängematten, denn alles war gespannt, ob unser Versuch gelingen würde. (…) Jedem Mann der Besatzung war sein Proviant für die ganze Fahrtdauer ausgehändigt worden. Die Rationen bestanden aus kriegsmäßig schlechtem Kartoffelbrot und Wurst, einigen hartgekochten Eiern, Schokoladentafeln, Gebäck und Bisquits. Am ersten Tag gab es noch heiße Würste, einen großen Kessel Erbsensuppe, danach Tee und Kaffee. Eine Küche war nicht an Bord, aber wir hatten zwei Kochplatten, die vom Motor aus geheizt wurden, und in der Führergondel noch eine elektrische, auf der wir Spiegeleier brieten und den Kaffee wärmten.

Wir kreuzten über die gesamte Ostsee, bei Sonnenschein und Regen, bei Tag und Nacht. (…) Wir hatten die Führergondel durch Ausbau der Zwischenwände in einen einzigen Raum verwandelt und uns in einer Ecke mit Tisch, Stühlen und Sofas eine Messe für acht Personen eingerichtet. Radiokonzert gab es in diesen Kriegstagen noch nicht, aber ich hatte eine Gitarre, andere hatten Mundharmonikas oder Spieldosen, wir spielten und sangen, wenn wir gerade dienstfrei hatten, und der gutmütige Riese trug uns sanft dahin.“

Am 31. Juli 1917 wurde die Rekordfahrt aufgrund eines plötzlich aufkommenden Sturms abgebrochen – nach 101 Stunden Fahrt – obwohl die Benzinvorräte noch für weitere 33 Stunden Fahrt ausgereicht hätten!

Erst zwei Jahre später sollte dieser Weltrekord gebrochen werden – anlässlich der ersten Atlantiküberquerung von Ost nach West des englischen Luftschiffs R 34.

Operation „Albion“
Ab August 1917 waren die „friedlichen“ Zeiten des LZ 120 vorbei. Kapitänleutnant Johann von Lossnitzer hatte das Kommando übernommen und war bei drei Angriffen auf Riga und die Inseln Ösel, Dagö und Moon dabei. Bei der sogenannten amphibischen Operation „Albion“ sollte das Heer von der Flotte und den Luftschiffen flankiert, angreifen. Die russischen Streitkräfte waren nach der Märzrevolution so demoralisiert, dass ein massiver Widerstand an der Ostfront nicht zu erwarten war.

Der Historiker Douglas H. Robinson: „Während die britische Grand Fleet nichts unternahm, verlegte der größte Teil der kaiserlichen Marine – die zehn modernsten Linienschiffe, der Große Kreuzer ‚Moltke’, sechs Kleine Kreuzer und 47 Torpedoboote – nach Osten, um dem Heer Feuerunterstützung zu geben.

In der Vorbereitungsphase zu ‚Albion‘ sollten die Luftschiffe im Bereich der Ostsee Ablenkungsangriffe auf Häfen und Hafenanlagen im Rigabusen führen und falls möglich die schweren Batterien auf Sworbe angreifen. Während der Landung sollten sie Deckung aus der Luft geben und – je nach Befehlslage – Angriffsfahrten unternehmen. L 30, L 37, LZ 113, LZ 120 und SL 8 standen zusammen mit dem ersten 60.000-m³-Schiff vom Typ Schütte-Lanz, SL 20, das am 11. September 1917 in Mannheim fertig gestellt worden war, zur Verfügung.“

Zu geringe Vorräte an Wasserstoff sowie schlechtes Wetter und starke Winde hatten zur Folge, dass die Luftschiffe weitaus seltener eingesetzt werden konnten, als ursprünglich geplant.

Robinson: „Erst in der Nacht des 24. September, als schließlich LZ 113 und LZ 120 die Batterien bei Zerel auf der Halbinsel Sworbe im Süden von Ösel attackierten, fanden weitere Operationen statt. (…) Am 1. Oktober wandten sich L 30, L 37 und LZ 120 dem östlichen Teil des Rigabusens zu, um die kleinen Häfen von Salismünde und Sophienruhe anzugreifen.“

Im Hintergrund lief die Operation „Albion“ weiter. Zehn Tage später fuhren 23.000 deutsche Soldaten auf Transportschiffen in Richtung Ösel, geschützt von drei Luftschiffen.

Robinson: „L 30 fuhr Richtung Nordwest, um den Rigabusen zu überwachen; LZ 113 fuhr Richtung Norden zur Einfahrt in den Finnischen Meerbusen. Auf dem Rückweg sollte das Schiff die Batterien auf Sworbe angreifen. SL 20 befand sich auf seiner ‚ersten Kriegsfahrt‘, das Schiff sollte die Flotte begleiten. Die Luftschiffe stießen auf dichte Wolken mit Gewittern und auffrischendem Wind aus Südwest; gegen 11.30 Uhr wurden sie zurückbeordert. (…) Das schlechte Wetter dauerte bis zum 14. Oktober an, und somit waren die Luftschiffe nicht in der Lage, die Landung auf Ösel am 12. Oktober aus der Luft zu decken. (…) Am 17. Oktober war Ösel besetzt. Die russischen Truppen kapitulierten rasch, und am 19. Oktober befand sich Dagö in deutscher Hand. Die amphibische Operation war beendet.“

Danach wurde die Luftschiffer-Abteilung der Ostsee aufgelöst. LZ 120 kam zusammen mit L 30 nach Seerappen und wurde dort bis Kriegsende in der Halle „Seraphine“ in Bereitschaft gehalten.


Technische Daten: 198 m lang, größter Durchmesser: 23,93 m, 19 Gaszellen, 55.200 Kubikmeter, 32,5 t Nutzlast, 6 Maybach-Motoren à 240 PS, maximale Geschwindigkeit: 103,3 km/h, Reichweite: 7400 km, 4 Gondeln, 6 Propeller. Gebaut in Friedrichshafen bei der Luftschiffbau Zeppelin GmbH.

Standorte: Jüterbog, Kowno, Seerappen. Im November 1920 über Seddin nach Staaken überführt, Weihnachten 1920 nach Italien (Ciampino bei Rom) ausgeliefert und dort in „Ausonia“ umgetauft. Beim Entleeren der Zellen ist LZ 120 zerbrochen.


Quellen: Fahrtberichte aus dem Archiv der Luftschiffbau Zeppelin GmbH, Douglas H. Robinson: Deutsche Marineluftschiffe 1912-1918, Ernst A. Lehmann: Auf Luftpatrouille und Weltfahrt

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