Die Nordsee – nasses Grab vieler Zeppeliner

Per Flaschenpost sendete manch einer der Kriegsteilnehmer der Marine im Ersten Weltkrieg seinen letzten Gruß an die Familie. Besonders dramatisch zeigt dies die Geschichte des Marineluftschiffs LZ 54 L 19, die damals international in die Medien kam.

L 19 hatte als eines von neun Luftschiffen am 31. Januar 1916 Liverpool in der Nacht angegriffen und wurde seit dem Morgen des 1. Februars vermisst. Kapitänleutnant z. S. Odo Loewe hatte vor der holländischen Küste noch einen letzten Funkspruch senden können und von Motorschäden, eisiger Kälte und dichtem Nebel über der Nordsee berichtet.

Kapitän Ernst A. Lehmann erinnert sich in seinem Buch „Auf Luftpatrouille und Weltfahrt“:

„Zerstörer suchten die ganze Nacht nach dem vermißten Luftschiff, ohne etwas zu finden. (…) Am nächsten Morgen erreichten Nachrichten das Hauptquartier, wonach im Nebel über Holland ein Zeppelin gesehen worden war. Das Schiff war in geringer Höhe dahingetrieben und wegen Neutralitätsverletzung von den holländischen Garnisonen beschossen worden.

Das belegt eine Zusammenfassung über das Schicksal des L 19 aus dem Archiv der Luftschiffbau Zeppelin GmbH:

„Am 2ten Vorm. ging ein Zeitungstelegramm aus Holland ein, nach dem am 1./II. Nachm. ein über Ameland sehr niedrig treibendes Luftschiff von der Küstenwache der Insel mit 60 Schuss beschossen und zweifelsohne einige Male getroffen sei. Das Luftschiff sei darauf in NO.-licher Richtung verschwunden. (…) Die suchenden Seestreitkräfte stießen mit dem hiernach richtigen nordöstlichen Kurse in die Nordsee vor. Hierbei wurde 30 Seemeilen nördlich von Ameland ein grösserer unversehrter Benzinbehälter gefunden, der sehr wahrscheinlich von L 19 stammte. Im übrigen blieb das Suchen der Kreuzer und Flotten erfolglos.

Der Befehl, am 3./II. mit Hellwerden weitgehende Luftaufklärung zu machen, konnte der ungünstigen Wetterverhältnisse wegen wiederum nicht zur Ausführung gebracht werden.“

Einige Tage später meldete Reuters, dass ein englischer Fischdampfer, der „King Stephen“, einem in der Nordsee treibenden Luftschiff begegnet sei. Man habe die Besatzung aber nicht retten können.

Wie die Situation der verunglückten Zeppeliner genau aussah, beschreibt der Bericht der Luftschiffbau Zeppelin GmbH:

„Über das Schicksal von L 19 brachte nachher erst die bekannte Reutermeldung Gewissheit, dass der Fischdampfer „King Stephen“ am 2./II. früh L 19 in der Nordsee treibend angetroffen habe, Gondeln und Luftschiffskörper teilweise unter Wasser; die Besatzung, etwa 20 Mann, befand sich auf dem über Wasser befindlichen Teil des Luftschiffes.“

Flaschenpost mit letzten Worten
Wenige Monate später wurden an der norwegischen Küste in Fischernetzen einige Flaschen geborgen. Lehmann weiter: „Eine dieser Flaschenposten stammte von Kapitänleutnant Odo Loewe und war an den F. d. L., Korvettenkapitän Strasser, gerichtet. Sie lautet:

‚Mit fünfzehn Mann auf der Plattform und dem First des in etwa 3 Grad Ost schwimmenden Körpers des L 19 versuche ich eine letzte Berichterstattung. Dreifache Motorenhavarie, leichter Gegenwind auf der Rückfahrt verspäteten die Rückkehr und brachten mich in Nebel, dieser nach Holland, wo ich erhebliches Gewehrfeuer erhielt, es wurde schwer, gleichzeitig drei Motorpannen. Am 2. Februar 1916, nachmittags, etwa ein Uhr, ist wohl die letzte Stunde. Loewe.‘

Obermaschinist Baumann, in Zivil Werkmeister eines süddeutschen Elektrizitätswerks, hatte den letzten Gruß an seine Frau und seine fünf kleinen Kinder der Thermosflasche anvertraut, die nach Monatsfrist von einem schwedischen Schiff aufgefischt wurde.

‚Liebe Grete und Kinder!‘, schrieb er. ‚Befinde mich augenblicklich in großer Gefahr, bin mit unserem Schiff ins Meer gefallen. Liebe Grete! Bis zur letzten Stunde auf Rettung hoffend, ist es anders bestimmt, nun, so ist es Gottes Wille. Getreu bis in den Tod, grüßt und küßt Dich und die Kinder herzlichst Dein treuer Georg.‘

Baumanns Postkarte ist datiert auf den 1. Februar, nachmittags 16 Uhr.“

Das Wrack ist noch am 2. Februar in der Nordsee umhergetrieben, was der letzte Gruß des Wachoffiziers Erwin Braunhof, eines Pfarrerssohns aus der Gegend um Hannover, an seinen Vater beweist:

„Zwei Tage und zwei Nächte umhergeschwommen. Keine Hilfe. Grüße Dich. Ein englischer Fischdampfer wollte uns nicht retten. Erwin.“

Diese grausame Entscheidung der Fischer bestätigt auch eine weitere Flaschenpost: „Meine liebe Ada und Mutter! Es ist 11 Uhr morgens am 2.II. Wir leben alle noch, aber nichts zu essen. Heute morgen war ein Fischdampfer, ein englischer, da, dieser wollte uns nicht retten. Er hieß ‚King Steffen‘ aus Grimsby. Der Mut sinkt, der Sturm nimmt zu.

Euer, auch noch im Himmel an Euch denkender Hans. Um 12 Uhr haben wir gemeinschaftlich gebetet und voneinander Abschied genommen.“

Der Fischdampfer „King Stephen“
Als „King Stephen“ seinen Heimathafen Grimsby erreichte und William Martin, der Skipper des Schiffes, seine Version der Geschichte erzählte, war der Zeppelin bereits im Meer versunken. Martin verteidigte sein Handeln damit, dass Loewes Besatzung seine neun Männer problemlos hätte überwältigen können, um anschließend das Schiff nach Deutschland zu überführen.

In Deutschland richtete sich die Entrüstung aber nicht gegen den Skipper, sondern gegen den Bischof von London. Der hatte nämlich dem Eigner des „King Stephen“ in aller Öffentlichkeit verziehen, dass er die ertrinkenden „Kindermörder“ nicht aus der eisigen Nordsee gerettet habe. Für diese Absolution wurde der Bischof nicht nur von deutscher Seite kritisiert – sogar englische Medien zeigten sich trotz der Kriegszeiten betroffen und empört angesichts dieser Unmenschlichkeit.

Noch im Jahr 1916 wurde „King Stephen“ von einem deutschen U-Boot gekapert und in einen deutschen Hafen gebracht, wo den Verantwortlichen der Prozess gemacht wurde.

Ernst A. Lehmann: „Die Besatzung des ‚King Stephen‘ hatte in der Folge keine andere Behandlung erfahren als alle übrigen Kriegsgefangenen und wurde nach Kriegsende in die Heimat zurückgeschickt.“


Bilder: © Archiv der Luftschiffbau Zeppelin GmbH

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