Die Provenienzforschung wurde 2016 im Zeppelin Museum eingeführt, um die Kunstsammlung genau unter die Lupe zu nehmen. Deren Herkunftsgeschichte und die verantwortlichen Protagonisten zum Aufbau dieser Sammlung in der Nachkriegszeit sind bisher nicht erforscht. Das Forschungsprojekt wird von der Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg gefördert. Ich habe Fanny Stoye, unsere Provenienzforscherin, zu einem Gespräch eingeladen und ihr ein paar Fragen zu ihrer Arbeit gestellt…
Du bist hier im Museum unsere Provenienzforscherin. Was heißt das ganz genau?
Ich gehöre zur Kunstabteilung unseres Museums und widme mich hier ganz der ,Biographie‘ unserer Kunstwerke, die mitunter hunderte von Jahren umfassen kann. Woher ein Kunstwerk kommt und wer es in den vergangenen Zeiten besessen hat, waren schon immer wichtige Fragen der Kunstgeschichte. Aber die Provenienzforschung hier im Zeppelin Museum hat ein ganz konkretes Ziel, nämlich zu überprüfen, ob unsere Kunstwerke zwischen 1933 und 1945 womöglich in jüdischen Sammlungen waren und unter den Nationalsozialisten zwangsweise verkauft oder beschlagnahmt worden sind.
Ich hinterfrage in meiner täglichen Arbeit daher in erster Linie, wo sich unsere Kunstwerke genau in dieser Zeit befunden haben und auf welchem Weg sie in unser Museum gelangten – eine sehr spannende und mitunter knifflige Arbeit.
Es geht also um Detektivarbeit. Was führt Dich dabei ins Depot und was genau untersuchst Du gerade?
Detektivarbeit ist genau das richtige Wort, denn oft fördern Kleinigkeiten brisante und sehr berührende Geschichten hinter den Kunstwerken zu Tage. Seit vielen Jahren etwa ,schlummert‘ in unserem Grafik-Depot eine Handzeichnung des gebürtigen Schweizer Künstlers Adrian Zingg, die den „Rheinfall bei Schaffhausen“ zeigt. Derzeit beschäftigt mich dessen Provenienz und hier hilft ein genauer Blick auf das Objekt enorm weiter. Denn auf der Rückseite ist ein Sammlerstempel in Form einer Heublumen-Blüte zu erkennen und damit wissen wir, dass die Zeichnung einst dem jüdischen Bankier und Konsul Carl Heumann aus Chemnitz in Sachsen gehörte. Er war ein leidenschaftlicher Sammler von Grafiken und hatte unser Blatt zum Beispiel im Jahr 1933 im Schlesischen Museum in Breslau und in der Kunsthütte in Chemnitz ausgestellt. Unter den Nationalsozialisten gelang es ihm vor allem durch seine „arische“ Ehefrau, einen Großteil seiner Sammlung in Sicherheit zu bringen und vor Beschlagnahme oder Zwangsverkauf zu schützen. Carl Heumann verlor am 5. März 1945 bei einem Bombenangriff auf Chemnitz sein Leben und es war sein Sohn Thomas, der Chemnitz schließlich vor der einmarschierenden russischen Armee verließ und mitsamt den geretteten Resten der väterlichen Kunstsammlung in den Westen flüchtete – darunter unser Blatt von Adrian Zingg. 1957 wurde es in Stuttgart versteigert und kam so an den Bodensee.
Ideal wäre nun noch zu wissen, wann genau und vom wem Carl Heumann das Blatt erworben hat – da bin gerade dran.
Was zeichnet die perfekte Provenienzforscherin aus? Welche Kenntnisse sollte man besitzen oder im Laufe der beruflichen Tätigkeiten weiter erwerben? Wie begibt man sich auf die Spurensuche und was muss man alles berücksichtigen?
Die ,perfekte‘ Provenienzforscherin gibt es ganz sicher nicht, aber man sollte für dieses Aufgabenfeld tatsächlich die Liebe zur kleinteiligen präzisen Arbeit, sehr viel Geduld und sicher auch ein hohes Maß an Gerechtigkeitssinn, Verantwortungsgefühl und Idealismus mitbringen. Denn genau das ist die eigentliche Motivation meiner Arbeit: je akkurater meine Recherche ist, umso größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, geschehenes Unrecht aufzudecken – und einen Beitrag für eine späte Wiedergutmachung zu leisten.
Zur Provenienzforscherin kann man sich nicht ausbilden lassen, viele Kollegen und so auch ich sind über die Sammlungsarbeit immer tiefer in das Thema eingestiegen. Unabdingbar sind aber sichere Kenntnisse der deutschen Geschichte, des Kunstmarktes und einschlägiger Sammlungen sowie ein gutes Gefühl für Archivstrukturen und damit Quellen. Viele Probleme lassen sich auch nur durch die Zusammenarbeit mit anderen Provenienzforscherinnen und Provenienzforschern lösen, weshalb sich vor vielen Jahren schon ein sehr aktiver Arbeitskreis gegründet hat.
Ich merke schon, bei der Klärung der Provenienz der Kunstwerke braucht man sehr viel Geduld und Zeit. Man kann Monate oder Jahre in die Recherche investieren und aus verschiedenen Gründen dennoch zu keinem Ergebnis kommen. Wie gehst Du damit um?
Das ist sicher eine Schattenseite, insbesondere wenn das Bauchgefühl eindeutig in eine Richtung weist, sich aber partout kein Beleg für die eigene These finden lässt. Der Provenienzforschung sind tatsächlich oft Grenzen durch fehlende Quellen gesetzt: zahlreiche Unterlagen sind im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen, nach 1945 angelegte Dokumente wie etwa Listen oder Ankaufsvorgänge oft nur rudimentär gehalten und wieder andere Quellen gingen in den letzten Jahrzehnten auf ungeklärtem Weg verloren – so ist es mir in den letzten Monaten in mehreren Archiven gegangen.
Man muss in solchen Fällen einfach lernen, unlösbare Fälle ebenso wie die geklärten Fälle als Teil der Arbeit zu akzeptieren und nicht als persönliches Versagen. Wichtig ist dann nur, Kunstwerke mit einer lückenhaften Provenienz nicht zu verharmlosen, sondern im Gegenteil auf sie aufmerksam zu machen und als Fundmeldung in die Datenbank Lost Art einzustellen. Im besten Fall kann zu einem späteren Zeitpunkt doch noch jemand zur Klärung der Provenienz beitragen.
Was bedeuten Internet und Digitalisierung für die Provenienzforschung?
Beides spielt eine enorm große Rolle, denn natürlich greife ich in der täglichen Arbeit nicht nur auf analoge Quellen zurück. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ein wahrer Segen sind die digitalisierten Kataloge zu den Auktionen zwischen 1901 und 1945 in Deutschland sowie der Schweiz, Österreich und schließlich in den von Deutschland besetzten Ländern. Mittels einer Datenabfrage lässt sich gezielt prüfen, ob und wann ein Kunstwerk unserer Sammlung auf dem Markt gehandelt wurde. Für mich war das in dem ein oder anderen Fall bereits der entscheidende Ausgangspunkt für die Recherche nach dem Vorbesitzer.
Hast Du persönliche Wünsche im Bereich Provenienzforschung? Und gibt es ein Kunstwerk, das Du entdecken möchtest?
Provenienzforschung an Museen geht oft nahtlos über in die Aufarbeitung der Sammlungs- und Verlustgeschichte. Berühren würde es mich deshalb auch, wenn ein im Zweiten Weltkrieg verlorenes Kunstwerk aus meiner Heimatstadt Leipzig wiedergefunden werden würde: eine hochmittelalterliche Madonnenskulptur aus Sandstein, die im Jahr 1910 über den Münchner Kunsthändler Julius Böhler in die Sammlung des Leipziger Kunstgewerbemuseums kam. Während der kriegsbedingten Auslagerung der Sammlungsbestände ging dieses wunderschöne Objekt verloren und die möglichen weiteren
Szenarien sind vielfältig: von der Zerstörung bis hin zur Verschleppung in den Osten oder – über Umwege – in den Westen ist vieles denkbar.
Fälle wie dieser lassen sich (wenn überhaupt) nur dann klären, wenn die Provenienzforschung als Teil der Sammlungsgeschichte ihren langfristigen und selbstverständlichen Platz in den Museen finden darf. Deshalb kann mein persönlicher Wunsch nur sein, dass möglichst viele Museen über personelle Kapazitäten für diese Aufgabe verfügen. Unser Projekt am Zeppelin Museum ist ein wunderbarer Anfang.
Ewa Wojciechowska M.A. studierte Kunstgeschichte an den Universitäten in Warschau und Florenz sowie Kulturmanagement an der Universität in Zürich. Im Zeppelin Museum ist sie für das Marketing zuständig. Bevor sie am Bodensee kam, hat sie in der Nationalgalerie der zeitgenössischen Kunst Zacheta in Warschau, auf den Venedig Biennalen, im Peggy Guggenheim Museum in Venedig und im Kunstgewerbemuseum Berlin ihre Berufserfahrung gesammelt. Schon immer reist sie leidenschaftlich viel für Kultur und Kunstausstellungen, ganz nach dem Motto: „Es gibt immer nur einen richtigen Weg: Deinen eigenen!“
Bilder: © Zeppelin Museum, Foto: Ewa Wojciechowska